von Charles Gounod (1818-1893) Oper in fünf Akten, Libretto: Jules Barbier und Michael Carré, nach dem Theaterstück Faust von Johann Wolfgang von Goethe, UA:: 19. März 1859, Paris, Théâtre-Lyrique
Regie: Johannes Erath, Bühnenbild/Kostüme: Herbert Muraurer
Dirigent: François-Xavier Roth; Gürzenich-Orchester Köln
Solisten: Alexander Fedin (Alter Faust), Young Woo Kim (Junger Faust), Samuel Youn (Méphistophélès), Anne-Catherine Gillet (Marguerite), Miljenko Turk (Valentin), Regina Richter (Siébel), Lucas Singer (Wagner), Judith Thielsen (Marthe)
Besuchte Aufführung: 5. Juni 2021 (Premiere)
Kurzinhalt
Der alternde Gelehrte Doktor Faust läßt sich auf einen Pakt mit dem Teufel ein, um seine Jugend wiederzugewinnen. Er verliebt sich in das unschuldige Mädchen Marguerite und verführt sie mit Hilfe des Teufels. Nach einer gemeinsamen Liebesnacht verläßt er sie jedoch wieder, um weitere Abenteuer zu erleben. Marguerite bekommt ein Kind und wird von der Gesellschaft für diese Sünde verstoßen. In ihrer Verzweiflung tötet sie es und wird als Kindsmörderin zum Tode verurteilt. Als Faust sich seines Vergehens an ihr bewußt wird, versucht er sie zu retten. Doch Marguerite vertraut ihre Seele Gott an und kann sich so vor den Fängen des Teufels beschützen.
Vorbemerkung
Von der Pariser Opéra wurde das Werk von Gounod zuerst abgelehnt, so daß es schließlich im Théâtre-Lyrique seine Uraufführung erlebte. Die Erstfassung der Oper wurde im Stile der opéra-comique mit gesprochenen Dialogen aufgeführt. Später wurden diese durch komponierte Rezitative ersetzt. Diese Version ist die bis heute übliche Fassung der Oper. Die Kölner Aufführung nimmt die erste Version der Oper aus der weitgehend rekonstruierten Originalfassung von Gounods Faust von 1859 mit gesprochenen Dialogen nach der Neuausgabe von Paul Prévost.
Aufführung
Mit einem ausgeklügelten Hygienekonzept öffnet die Kölner Oper im Staatenhaus zum ersten Mal nach langer Pause wieder ihre Pforten fürs Publikum. Mit einem negativen Coronatest oder einem Nachweis über Impfung oder Genesung, wurde der Eintritt möglich. Der Saal selbst war zur Vorbeugung vor Ansteckung nur zu ca. einem Drittel gefüllt und die Plätze im Schachbrettmuster belegt. Dank der guten Belüftung im Saal war das Tragen der Maske am Platz nicht unangenehm.
Der Orchestergraben befindet sich ebenerdig direkt vor der Bühne, was einen guten Blick auf das Dirigat von François-Xavier Roth und das Gürzenich Orchester zuläßt. Dahinter befindet sich eine aufwendige Bühnenkonstruktion, die aus mehreren ellipsenförmigen Seitenwänden besteht, die ineinander verschoben werden können. An den Wänden werden Projektionen gezeigt. Man sieht Krankenhausszenen als Symbol der Alterung und des Todes, oder später rote Lippen, die die Versuchung der Hölle verdeutlichen.
Die Kostüme sind sehr extravagant, bunt und unterstreichen die Charaktere der Figuren. Méphistophélès trägt beispielsweise einen schwarz-weißen Anzug mit aufgedruckten Schmetterlingen und Marguerite eine Schulmädchenuniform, später dann ein lachsfarbenes Tüllkleid.
Sänger und Orchester
Eingeleitet wird der Abend durch düstere Töne der Ouvertüre, für die François-Xavier Roth ein sehr langsames Tempo wählt. Die einzelnen Orchester stimmen kann dabei die nachdenkliche und bedrückende Stimmung der Oper sehr gut entfalten und auf den Abend einstimmen.
Währenddessen rollt Alexander Fedin (Faust im Alter) zusammengekauert in einem Rollstuhl auf die Bühne. In der Eingangsarie Rien! En vain j’interroge, en mon ardente veille – Nichts! Umsonst befrage ich der lichten Sterne Chor besingt er das traurige Fazit seines Lebens mit einem hohen Tenor, sehr laut und akzentuiert. Dabei klingt er in den Höhen sehr scharf und oft etwas nasal. Das helle Timbre seiner Stimme paßt sehr gut zu der Zerbrechlichkeit des alternden Faust. Sein Mitstreiter Méphistophélès (Samuel Youn) legt von Anfang an sowohl schauspielerisch als auch gesanglich eine Glanzleistung hin. Schon während der Ouvertüre räkelt er sich mit süffisantem Lächeln an der Ballustrade des Orchestergrabens und raucht eine Zigarette. Durch diese lässigen Gesten und seinen raumfüllenden, donnernden Baß, der ein rauhes Timbre aufweist, drückt er seiner Rolle einen ganz eigenen Stempel auf. In der Arie Le veau d’or – Das goldene Kalb tanzt er auf einem Sarg, dirigiert mit anfeuernden Gesten die Menge, singt dabei sehr akzentuiert und läßt seine Stimme in der Höhe bedrohlich anschwellen, um seine Macht zu verdeutlichen. Die gesprochenen Dialoge übernimmt während des ganzen Abends für ihn François-Xavier Roth aus dem Orchestergraben heraus, was zuerst irritiert, aber schnell nicht mehr auffällt. Ebenfalls erwähnenswert ist Young Woo Kim (Junger Faust), dessen leuchtender Tenor im Vergleich zu Fedin sehr viel mehr Substanz und Resonanz mitbringt. In der Liebesarie zu Marguerite betont er mit einem süßen, schmelzenden Gesang seine Verliebtheit und gleichzeitig die Verzweiflung über einen möglichen Verlust. Dabei hat seine Stimme ein ausnehmend warmes Timbre und klingt immer satt und voll. Schauspielerisch betont er den Elan des jungen Faust durch eine sehr auffallende Mimik.
Bei den Sängerinnen kann Anne-Catherine Gillet (Marguerite) besonders überzeugen, da sie eine große Bandbreite an Gefühlen gesanglich sehr gut umsetzen kann. Ihr Sopran hat ein samtenes, sehr weiches Timbre und klingt auch in der Höhe immer angenehm ausbalanciert. In der Ballade von König Thule wechselt sie sehr gekonnt zwischen Brust- und Kopfstimme, was dem erzählerischen Stil mehr Nachdruck verleiht. Besonders gut ist sie aber auch im letzten Akt, als sie die Trauer über Fausts Abwesenheit besingt. Hier legt sie sehr viel Gefühl in die Töne und steigert sich in den Spitzentönen, daß es wie ein Aufschrei der Verzweiflung klingt.
Unter den männlichen Stimmen ist Miljenko Turk (Valentin) noch zu erwähnen, der mit einem schmetternden Tenor singt und besonders in seinem letzten Auftritt, als er seine Schwester verflucht, sehr energisch und mit Inbrunst seine Verachtung besingt. Schauspielerisch zeigt er dabei sehr viele Facetten, indem er in einem Nachthemd über die Bühne robbt, sich mit einem Degen aufschlitzt und von Wahnsinn besessen seine Schwester fast erwürgt.
Sehr zu loben ist die Leistung des Chores, der aufgrund der Coronaauflagen nur von der Seitenlinie singen darf. Zwar sind deshalb manchmal Gesang und Orchester nicht ganz synchron. Dafür ist der opulente und ausgewogene Klang der Stimmen aber umso überzeugender und sorgt für einige Gänsehautmomente. Ebenso überwältigend ist das Orchester, das dem gesamten Abend eine hervorragende Leistung abruft: besonders in den Geigen werden die schwelgerischen Klänge der Walzer und Märsche durch eine mitreißende Dynamik betont.
Fazit
Daß nach so langer Zeit endlich wieder eine Oper live gegeben werden konnte war nicht nur für das Publikum ein spürbar besonderer Moment. Auch das Ensemble schien den Abend besonders zu zelebrieren. Die Kraft der Musik war wie eine unsichtbare Macht spürbar und schaffte es, trotz der Distanz, die die Zuschauer untereinander und die Darsteller auf der Bühne halten mußten, eine Verbindung zu schaffen. Die Inszenierung ist zeitlos, opulent und konzentriert sich auf das Fantastische und Surreale der Oper. Dabei stehen Symbole, die den Tod verdeutlichen im Vordergrund, wie beispielsweise ein Sarg, der später auch als Kinderwiege umfunktioniert wird, dann auch aufgebahrte Leichen in Betten.
Musikalisch war der Abend ein wahrer Genuß, allen voran durch die hervorragende Leistung von Samuel Youn, Young Woo Kim und Anne-Catherine Gillet, die den meisten Applaus bekamen. Aber auch für den Chor und das Orchester spendete der Saal tosenden Beifall. Ein wunderschöner Abend!
Melanie Joannidis
Bild: Bernd Uhlig
Das Bild zeigt: Anne-Catherine Gillet (Marguerite), Young Woo Kim (Junger Faust)