Les Contes d’Hoffmann – Hamburg, Staatsoper

von Jacques Offenbach (1819-1880) , phantastische Oper, fünf Akte, Libretto: Jules Barbier, UA: 10. Februar 1881 Paris, Opéra-Comique

Regie: Daniele Finzi Pasca, unter Mitarbeit von Mellissa Vettore Bühne: Hugo Gargiulo, Matteo Verlicchi Kostüme: Giovanna Buzzi, Ambra Schumacher Licht: Daniele Finzi Pasca, Marzio Picchetti Video: Roberto Vitalini, Choreographie: Maria Bonzanigo, Dramaturgie: Savina Kationi, Ralf Waldschmidt

Dirigent: Kent Nagano, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Chor der Hamburgischen Staatsoper (Leitung: Eberhard Friedrich)

Solisten: Benjamin Bernheim (Hoffmann), Olga Peretyatko (Olympia/Antonia/Giulietta/Stella), Angela Brower (La Muse/Nicklausse), Luca Pisaroni (Lindorf/Coppélius/Dr. Miracle/Dapertutto), Gideon Poppe (Andrès/Cochenille/Frantz/Pitichinaccio), Kristina Stanek (La Mère), Martin Summer (Maître Luther/Crespel), Dongwon Kang (Nathanaël), Jürgen Sacher (Spalanzani), Daniel Schliewa (Wilhelm/Wolfram), Han Kim (Le Capitaine des Sbirres), Bernhard Hansky (Schlémil/Hermann)

Besuchte Aufführung: 4. September 2021 (Premiere)

Kurzinhalt

Während der Dichter E.T.A. Hoffmann in der Weinstube aus Liebeskummer mit Kameraden um die Sängerin Stella zecht, erzählt er ihnen in Gegenwart seines Rivalen Lindorf von seinen vergangenen unglücklichen Liebesgeschichten, die ebenfalls den Erzählungen Hoffmanns entnommen sind. Diese Geschichten um die mechanische Puppe Olympia, die kranke Sängerin Antonia und der Kurtisane Giulietta bilden den Gegenstand der drei folgenden Akte. Hoffmans unerkannter Begleiter ist dabei die Muse der Dichtung, die ihm schützend zur Seite steht. Als er am Ende seiner Erzählungen so betrunken ist, daß er Stella vergrätzt und sich diese Lindorf anschließt, erinnert die Muse ihn an seine wahre Liebe in Gestalt der Kunst.

Aufführung

Das Bühnengeschehen darf man wohl als im besten Sinne ästhetisch ansprechend bezeichnend, und dank der weitgehenden inhaltlichen Orientierung am Originaltext auch im Sinne von Hoffmann und Offenbach. So verschließt sich die Aufführung in keinem Augenblick der romantischen Mischung aus farbenfrohem Spektakel sowie fantastisch grotesken Geisterspiel samt Artistik, ohne dabei den Gedanken an das Schöne je zu opfern. Ständig scheint dabei auf verspielte Weise durch, daß es sich ‚nur‘ um ein Bühnenspiel handelt. Selbst wenn das Gezeigte eigene Wege geht, ist es stark am Libretto orientiert. So erscheint die kranke Antonia als gebrechlicher, lebensgroßer blauer Schmetterling in einem überdimensionalen Schmetterlingskasten, im Venedig-Akt kommen auf spektakuläre Weise Spiegel in diversen  Formen zum Einsatz, und Olympia singt und tanzt auf einer gewaltigen Spieldose. Für das beeindruckend gespiegelte Venedig-Bühnenbild samt Taubenschar gab es bei der Premiere sogar Szenenapplaus. Um das Fantastische zu betonen, schweben wiederholt die Hoffmannschen Geister und Imaginationen über die Köpfe der Figuren hinweg, etwa in Form von Kleinzack, Antonias toter Mutter oder der hinzu erfundenen Verdopplung der Muse als stummer Figur. Auch die überwiegend historisch gehaltenen, durchweg stilvollen Kostüme wissen zu erfreuen. So wirkt Lindorf mit seinen grotesk langen Fingernägeln wie ein Wiedergänger Nosferatus, im Venedig-Akt ist die Festgesellschaft barock gekleidet, und Olympia sieht tatsächlich aus wie eine Puppe, samt Zahnrädern auf dem Rücken. Auf geschmackvolle Weise kommt auch die Videotechnik zum Einsatz. So ‚spiegeln‘ sich im Barfenster im Ersten Akt die drei verschiedenen Gesichter von Hoffmans Lieben, wenn er diese besingt.

Sänger und Orchester

Die Hamburger Aufführung macht von der gängigen Praxis Gebrauch, die Rollen je nach Sängerfach mehrfach zu besetzen. Glücklicherweise bringen alle Beteiligten die schauspielerischen und stimmlichen Fähigkeiten mit, um diesen Spagat zu meistern. Allen voran der Star des Abends in Gestalt von Olga Peretyatko. Dank ihres schier endlosen Atems und einer farbig weichen Gestaltung ist für sie keine Koloratur zu lang, ihre Gestaltung klingt bis in die höchsten Höhen mühelos, nicht nur in „Olympias Lied“. Man meint tatsächlich, vier verschiedene Frauenfiguren vor sich zu haben.

Als einziger Hauptdarsteller versieht Benjamin Bernheim als Hoffmann zwar nur eine Rolle, bringt jedoch genug charakterliche Festigkeit mit, um in allen seinen ‚Erzählungen‘ zu überzeugen. Dank einer mühelos strahlenden Höhe und vollem Timbre widerlegt er erfreulicherweise das Stereotyp, daß der Tenor in der Oper das schwächste Glied ist. Nicht nur dank seiner Aufmachung ist Luca Pisaroni ein herrlicher Bösewicht, dessen Baßbariton über viel Volumen verfügt, so daß er auch die Spiegelarie problemlos meistert.

Auch Angela Browers Mezzosopran läßt an aufblühender weicher Farbe und Espressivo keine Wünsche offen. Mit komödiantischem Talent gesegnet ist Gideon Poppe, der unter anderem als Cochenille ein Tänzchen hinlegt und dabei Lacher aus dem Publikum erntet. Dem auf französischem Gebiet geschulten Kent Nagano gelingt es, dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg duftig strömenden, differenzierten Wohlklang zu entlocken. Neben den sattelfesten Streichern wissen vor allem die vielen herrlichen Flötensoli zu begeistern. Coronabedingt (?) wurden Teile des Chores der Hamburgischen Staatsoper in den Logen im ersten und zweiten Rang platziert, was jedoch keinesfalls von Nachteil war, sondern einen transparenten Raumklangeffekt zur Folge hatte, der mit dem restlichen Chor auf der Bühne wunderbar verschmolz.

Fazit

Bravi samt Standing Ovations für die Sänger mitsamt Applaus ohne Buhs für das ausgezeichnete italienische Regieteam rund um Daniele Finzi Pasca am Premierenabend. An imaginativer Kraft und Fantasie läßt dieser Hamburger Hoffmann nichts zu wünschen übrig, den man auf allen Ebenen für Ohren und Augen nur wärmsten empfehlen kann. Um es mit E.T.A. Hoffmann selbst zu sagen: Diese Aufführung entführt das Publikum ins „wunderbare Geisterreich“ Offenbachs.

Dr. Aron Sayed

Bild: Monika Rittershaus

Veröffentlicht unter Hamburg, Staatsoper, Opern