Götterdämmerung – Berlin, Deutsche Oper

von Richard Wagner (1813 – 1883), dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen und einem Vorspiel, Libretto: R. Wanger, UA: 17. August 1876 Bayreuth. Festspielhaus

Regie: Stefan Herheim, Bühnenbild: Stefan Herheim und Silke Bauer, Kostüme: Uta Heiseke, Licht: Ulrich Niepel, Video-Design: Torge Møller, Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach und Jörg Königsdorf

Dirigent: Sir Donald Runnicles, Orchester der Deutschen Oper Berlin, Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: Jeremy Bines

Solisten: Clay Hilley (Siegfried), Thomas Lehman (Gunther), Jürgen Linn (Alberich), Gidon Saks (Hagen), Nina Stemme (Brünnhilde), Aile Asszonyi (Gutrune; dritte Norn), Okka von der Damerau (Waltraute), Anna Lapkovskaja (erste Norn; Floßhilde), Karis Tucker (zweite Norn; Wellgunde), Meechot Marrero (Woglinde)

Besuchte Aufführung: 17. Oktober 2021 (Premiere)

Kurzinhalt

Die drei Nornen sehen das Ende der Götter voraus. Siegfried verabschiedet sich bei Tagesanbruch von Brünnhilde, die er auf dem Walkürenfelsen zurückläßt, um in der Welt Heldentaten zu vollbringen. Er trifft auf dem Hof der Gibichungen ein und wird dort das Opfer einer Intrige: Gutrune bietet ihm einen Trank an, der ihn Brünnhilde vergessen läßt. Daraufhin verspricht Siegfried Gunther, ihm Brünnhilde als Braut vom Walkürenfelsen zu bringen, wenn er dessen Schwester Gutrune heiraten dürfe. Gunther willigt ein. Hagen, der Urheber dieser Intrige, gibt Siegfried den Rat, sich mit Hilfe des Tarnhelms in Gunther zu verwandeln, um Brünnhilde zu täuschen. Als die beiden aufgebrochen sind, gibt er sich als Alberichs Sohn zu erkennen.

Die Walküre Waltraute kommt zu Brünnhilde, um ihr mitzuteilen, daß Wotan sich von ihr wünsche, den Ring, den sie von Siegfried bekommen hat, den Rheintöchtern zu geben und so das Ende der Götter einzuleiten. Brünnhilde weigert sich und schickt ihre Schwester fort. Siegfried in der Gestalt Gunthers erscheint, überwältigt sie und nimmt ihr den Ring. Vor ihrer Rückkehr am nächsten Morgen übergibt er sie unbemerkt an Gunther. Hagen ruft die Mannen zusammen, um Gunther mit seiner Braut Brünnhilde zu empfangen. Brünnhilde ist verwirrt und bestürzt, als sie Siegfried mit Gutrune erblickt, der sie nicht zu kennen vorgibt. Als sie den Ring an seinem Finger sieht, bezichtigt sie ihn des Verrates an Gunther. Siegfried weist ihren Verdacht von sich. Hagen läßt Siegfried und Brünnhilde auf seinen Speer schwören, daß sie beide die Wahrheit sprechen. Nachdem Siegfried mit Gutrune und der Hochzeitsgesellschaft weitergezogen ist, beschließen Gunther, Hagen und Brünnhilde, daß er für seinen Verrat mit dem Tode büßen soll. Man beraumt eine Jagd an.

Auf der Jagd verläuft sich Siegfried und begegnet den Rheintöchtern, die ihn warnen und den Ring verlangen. Er weigert sich und sie verschwinden. Die Jagdgesellschaft trifft ein. Hagen verabreicht Siegfried einen Trank, der seine Erinnerung an Brünnhilde wieder herstellt. Als er begeistert von seiner Vereinigung mit der Walküre berichtet, tötet ihn Hagen. Die Jagdgesellschaft kehrt mit dem toten Siegfried an den Hof der Gibichungen zurück. Dort kommt es zum Streit um den Ring zwischen Gunther und Hagen, der seinen Halbbruder tötet. Bevor er den Ring an sich nehmen kann, erscheint Brünnhilde, löst die Intrige auf, nimmt den Ring an sich, und befiehlt, Siegfrieds Leichnam zu verbrennen. Sie folgt ihm mit in den Tod, der Rhein tritt über die Ufer, die Rheintöchter erhalten den Ring zurück und die Götterburg Walhall geht in Flammen auf.

Aufführung

Zwei szenische Elemente sind zentral in allen Aufzügen: ein paar gewaltige Kofferstapel im Hintergrund und ein Flügel im Vordergrund, aus dem die Figuren steigen und auf dem sie liegen oder spielen. Die Halle der Gibichungen und der Ort der einleitenden Nornenszene sind dem Foyer der Deutschen Oper nachempfunden. Der Chor der Mannen und die stummen Statisten im Vorspiel sind wie das Opernpublikum gekleidet, sehen den Solisten zu und trinken Sekt; das tun auch die Gibichungen, und zwar ausgiebig. Die stummen Statisten im Vorspiel und in der Schlußszene haben sich ihrer Kleider bis auf die Unterwäsche zu entledigen. Die Götter, die auf ihr Ende warten, werden mehrfach als stumme Statisten im Hintergrund sichtbar, z.B. bei Waltrautes Bericht, vor dem Schwur auf Hagens Speer – den dieser Wotan aus der Hand nimmt – und in der letzten Szene. Das Feuer um den Walkürenfelsen und der Rhein werden mit Videoprojektionen angedeutet. Diese Momente sind, wie auch ein über die Bühnen schreitender brennender Stuntmen im zweiten Aufzug, im wahrsten Sinne des Wortes spektakulär.

Es gibt etliche szenische Binnenbezüge in dieser Inszenierung, die so nicht im Textbuch stehen. Die Rheintöchter verwandeln sich z.B. in die Nornen, die Siegfried seinen Tod ankündigen. Daneben gibt es externe popkulturelle Bezüge. Alberich und sein Sohn Hagen sehen z.B. wie der Joker aus dem gleichnamigen Film mit Joaquin Phoenix aus – also wie eine Schurkenfigur aus den Batman-Comics – und verhalten sich ähnlich psychotisch; Gunther und Siegfried verwandelt der Tarnhelm ebenfalls in den Joker. In dieser Inszenierung ist Hagen zu Beginn ein eleganter Herr mit zackigen Bewegungen. Er setzt sich während des letzten Orchesterzwischenspiels im ersten Aufzug in die erste Zuschauerreihe. Von dort aus hat er den Dialog mit seinem Vater Alberich zu Beginn des zweiten Aufzuges zu singen. Danach zeigen sich Züge des Wahnsinns bei ihm. Er begnügt sich nicht nur damit, Siegfried zu töten, sondern schlägt der Leiche auch noch den Kopf ab und zieht Siegfrieds Rüstung an. Neben Gunther tötet er auch noch Gutrune. Hagen bleibt als einziger Charakter während des abschließenden Orchesternachspiels im dritten Aufzug auf der Bühne und geht dann in den Zuschauerraum ab. Auch die Personengestaltung der anderen Hauptfiguren unterscheidet sich von Wagners Textbuch. Siegfried ist als Karikatur gestaltet, eine Figur, die sich weder durch Eleganz noch durch Tragik auszeichnet, sondern vor allem durch ihre außerordentliche Naivität. Gunther hat im ersten Aufzug viel zu kichern und feixen, während er im letzten Siegfrieds Tod lautstark schluchzend beklagt. Gutrune fühlt sich als Köder für den grob zupackenden Siegfried im ersten Aufzug alles andere als wohl.

Die Rolle der Brünnhilde läßt diese Inszenierung hingegen relativ unangetastet. Ein mimisches Mittel, dessen sich man häufig bedient, ist das vormals unter Opernregisseuren verpönte Mickey-Mousing. D.h. die Darsteller bewegen sich zuweilen wie animierte Figuren rhythmisch synchron zur Musik. Dies ist ein historisches Stilmittel, das zu Wagners Zeit angewendet wurde, und auch im Bereich des Gestischen greift diese Inszenierung vor allem bei den stummen Akteuren auf die ausladende Theatergebärde des 19. Jahrhunderts zurück. Daneben kommen lebende Bilder vor, also das Verharren der Akteure in statuenartigen Posen, die im 19. Jahrhundert beliebt war.

Im zweiten und dritten Aufzug werden die Götter in historischen Kostümen, so wie sie in den Ring-Inszenierungen im 19. Jahrhundert Usus waren, im Hintergrund sichtbar. Diese werden vor dem Ende des Werkes ausgezogen und mit Siegfrieds Leichnam in den Flügel gelegt. Die Bühne wird in Nebel gehüllt, der sich mit den letzten Akkorden auflöst. Das letzte Bild zeigt die halbnackte Bühne mit dem Flügel in der Mitte, die gefegt wird. Weitere Bezüge und szenische Elemente werde ich in meiner Rezension des gesamten neuen Berliner Ringes im November eingehender beschreiben.

Da die vier Teile der Ring-Tetralogie pandemiebedingt nicht in der richtigen Reihenfolge zu sehen waren und die Premiere des Siegfried erst im Rahmen des ersten Zyklus stattfinden wird, können sich die szenischen Bezüge zwischen den einzelnen Dramen dem Zuschauer noch nicht restlos erschließen.

Sänger und Orchester

Donald Runnicles arbeitete die dynamischen Kontraste des Orchesterparts überaus plastisch heraus, vor allem bei den plötzlichen Zurücknahmen vom Forte ins Pianissimo. Wie stets bei ihm richtete sich die Lautstärke des Orchesters nach den stimmlichen Kapazitäten der Sänger. So wurden Hagens Rufe relativ leise gestaltet, während die Szene Waltraute/Brünnhilde im Vorspiel, in welcher zwei kräftige Stimmen zu hören waren, vergleichsweise laut genommen wurde. Die orchestralen Zwischen- und Nachspiele wurden dynamisch ebenfalls klar nuanciert. Die stärksten Akzente hob sich der Dirigent für die Trauermusik und das Nachspiel vom letzten Aufzug auf. Aber auch die Chorszenen im zweiten Akt, bei denen die Bühne durch eine glatte Rückwand verkleinert wurde und die Chorpartien damit direkt in den Zuschauersaal abstrahlten, wurden sehr kraftvoll begleitet. Leider war der Sänger des Hagen, Gidon Saks, an diesem Abend stimmlich indisponiert, so daß es schwer fällt, seine Leistung angemessen zu beschreiben. Einige laute Töne kamen gut durch den dichten Chor- und Orchesterklang hindurch. Aber leider klang seine Stimme durchweg belegt und auch die Gestaltung einiger Vokale schien ihm Schwierigkeiten zu bereiten. Hinzu kam die im Grunde stimmlich unlösbare Aufgabe, das Zwiegespräch mit Alberich mit dem Rücken zum Publikum vor dem Orchester sitzend singen zu müssen. Darstellerisch machte er seine vokalen Probleme allemal wett, aber insgesamt würde man sich hier einen Sänger mit mehr Stimmvolumen wünschen.

Nina Stemme, die zu den führenden hochdramatischen Sängerinnen weltweit gehört, spielte und sang die Partie der Brünnhilde packend und ohne erkennbare Schwierigkeiten. Bei ihr kann man sich auf die hohen, lauten Passagen freuen, und es gelang ihr, ihrer Rolle Würde zu verleihen, auch wenn sie den ganzen Abend über in Unterwäsche auf der Bühne zu stehen hatte. Einen stimmlich jugendlichen und erheiternden Siegfried gab Clay Hilley. Er zeichnet sich durch eine sehr starke und zugleich leicht ansprechende Stimme aus, sein Spiel war beweglich und paßte damit zu den komödiantischen Zügen, die es in dieser Inszenierung gibt. Neben Hilley und Stemme waren es Thomas Lehman (Gunther) und Okka von der Damrau (Waltraute), die das Publikum mit ihrem Gesang begeisterten. Dem dramatischen Sopran Stemmes stand mit dieser Mezzosopranistin eine ebenbürtige Stimme zur Seite. Lehman hat wie Hilley ein überragendes Talent als Darsteller und vermochte souverän zwischen komödiantischen und tragischen Stilebenen zu wechseln. Die Sänger all dieser Partien verfügen über eine deutliche Textaussprache, an der Aile Asszonyi als Gutrune noch etwas arbeiten muß, denn bei ihr litt auch die Tongebung daran, daß vor allem die kurzen Vokale nicht gut herauskamen; bei ihrer Verkörperung der dritten Norn, die allerdings auch in einem vergleichsweise gemessenen Tempo singt, war das nicht der Fall. Die Ensembles der drei Nornen und Rheintöchter waren insgesamt ziemlich homogen, wenn auch Meechot Marrero als Woglinde bisweilen hervorstach.

Die Chöre und die zahlreichen Statisten bewegten sich auf dem mitunter recht engen Bühnenraum ohne erkennbare Schwierigkeiten und gestalteten ihre ständig zwischen Zuschauer, Akteur und Götterstatue wechselnden Rollen mit Hingabe.

Fazit

Wie bereits erwähnt ist es noch nicht möglich, Zusammenhänge dieser Inszenierung mit denjenigen der vorhergehenden Dramen herzustellen, um sie fair beurteilen zu können. Was sich vorerst aus der Inszenierung der Walküre (s. OPERAPOINT 2020 Nr. 4) ableiten läßt, ist folgendes: Wichtige Requisiten – wie der Flügel in der Szenenmitte – sind in ihrer Funktion unbestimmbar. Mitunter spielt ein Charakter, der die Handlung steuert oder vorantreibt, auf ihm, mitunter aber auch eine Figur, die passiv ist. Oder er dient den Figuren schlicht als Lager und Podest. Die Kofferberge, die in der Walküre als Element recht zentral waren, sind in der Götterdämmerung nur reine Dekoration. Die Bezüge, die szenisch innerhalb des Werkes zwischen den Figuren hergestellt werden, sind mitunter so zahlreich, daß sie nichtssagend werden: Wie ist Siegfrieds Verwandlung in Alberich/Hagen zu erklären? Werden sie alle von Alberich gesteuert oder ist die Jokermaske ein Symbol für etwas anderes?

Vielleicht vermag die Aufführung des gesamten Zyklus hier besser Aufschluß zu geben. Auch die Erzählperspektiven ändern sich dauernd. Einmal geht es um die Rezeption von Wagners Werk, also die Reaktionen des Publikums auf das Stück, ein anderes Mal um einen Kommentar zur Handlung und dann wieder um die eigentliche Geschichte, die im Ring erzählt wird. Es ist dabei nicht immer deutlich, auf welcher Ebene man sich gerade befindet. Beginnt die Inszenierung z.B. mit einer typischen, verfremdenden Spiegelung – das Opernpublikum erblickt sich im Vorspiel selbst auf der Szene –, so verwandeln sich die Statisten nach ihrer Entkleidung in den Feuerkreis, der Brünnhilde einschließt, also in ein bühnenbildnerisches Element. Nur – warum?

Musikalisch gibt es nichts auszusetzen. Man bekommt hier wahrhaft große Stimmen zu hören, das stark instrumentierte Orchester begleitet diskret und übernimmt das Geschehen da, wo es soll. Im Zweifelsfall wird eher zurückhaltend musiziert. Verglichen mit der Premiere der Walküre war das Publikum mit dieser Inszenierung zufriedener. Das mag daran liegen, daß Stefan Herheim mehr Ruhe in den Vortrag und das szenische Geschehen einkehren ließ, so daß die Szenen eine stärkere Wirkung zu entfalten vermögen. Verglichen mit seiner Walküre erscheint die Götterdämmerung kurz gesagt, trotz einiger humoristischer Momente im ersten Aufzug, ernster und ernsthafter.

Dr. Martin Knust

Bild: Bernd Uhlig

Das Bild zeigt: Nina Stemme (Brünnhilde)

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