Giovanna d’Arco – Rom, Teatro dell’Opera

von Verdi, Giuseppe (1813-1901), Dramma lirico in einem Prolog und drei Akten, Libretto: Temistocle Solera nach Die Jungfrau von Orleans von Friedrich Schiller, UA: 15. Februar 1845, Teatro alla Scala, Mailand

Regie: Davide Livermore, Bühne: Michele Della Cioppa

Dirigent: Daniele Gatti, Orchester, Chor Chorleiter: Roberto Gabbiani, Corpo di Ballo: Eleonore Abbagnato

Solisten: Nino Machaidze (Giovanna), Francesco Meli (Carlo VII), Roberto Frontali (Giacomo), Dmitry Beloselskiy (Talbot)

Besuchte Aufführung: 24. Oktober 2021, Teatro Costanzi, Rom (Premiere 17. 10. 2021)

Vorbemerkung

Temistocle Solera hatte schon die Libretti für Nabucco und Die Lombarden geschrieben. Er war damals in Italien der anerkannteste Librettist. Verdi hatte ihn daher auch gern für die neue Oper engagiert. Es war Verdis ausdrücklicher Wunsch, ein oratorienhaftes Werk herauszugeben, wobei er sich an den Stil von Rossinis Oper Mosè in Egitto aus dem Jahre 1818 hielt. Insgesamt wollte das Mailänder Publikum monumentale historische Szenen erleben. Und hier bot er diese ihm.

Kurzinhalt

Im Prolog wird vom hundertjährigen Krieg der französischen Krone mit den englischen Vasallen berichtet, wie der französische König Charles VII. durch die Schäferstochter Giovanna d’Arco (Johanna von Orleans) davon abgehalten wird, abzudanken. Giovanna fordert ihn dagegen auf, mit ihr in die Schlacht gegen die englischen Vasallen zu ziehen. Doch Giovannas Vater Giacomo verspricht dem englischen Heerführer Talbot, ihm seine Tochter auszuliefen, die er ohnehin für eine Hexe hält. Nachdem die Franzosen über die Engländer gesiegt hatten, bittet Charles VII. Giovanna bei ihm, der sie liebt, zu bleiben. Giovanna akzeptiert diesen Wunsch und begleitet Charles VII. zur Krönung in die Kathedrale nach Reims.

Als dann die Menge Giovanna zujubelt und Charles VII. sie zur Schutzpatronin Frankreichs ausruft, will ihr Vater das – wie er meint – gotteslästerliche Treiben beenden und beschuldigt sie vor der Menge der Hexerei. Giovanna sagt nichts zu ihrer Verteidigung, da sie sich schon lange wegen ihrer Liebe zu Charles VII. schuldig fühlt. Ein Gewittersturm scheint ihre Schuld zu bestätigen. Sie wird an die Engländer ausgeliefert. Während einer erneuten Schlacht mit den englischen Vasallen wendet sich das Schlachtglück erst als Giovannas Fesseln gelöst werden, so daß sie in die Schlacht mit eingreifen kann. Aber sie wird dabei tödlich verwundet und stirbt.

Aufführung

Die riesige Bühne zeigt eine in konzentrischen Kreisen stufig emporsteigende Bühne. Darüber hängt eine ziemlich große Weltkugel, die im Verlauf der Oper die Bilder nach dem Operninhalt abwechselte. So erblickt man zu Anfang eine Karte mit Ländern, die aber nicht das damalige Frankreich zur Zeit des hundertjährigen Kriegs Frankreichs mit den englischen Vasallen aufwies. Viele der gezeigten Bilder sind leider nicht identifizierbar. Auf dieser Bühne, die während der Aufführung immer gleich bleibt, konnte man den Auftritt und das Weggehen von englischen und französischen Kriegern erblicken. Leider waren die englischen und die französischen Truppen wegen ziemlich ähnlicher Kleidung kaum zu unterscheiden. So war die Anwesenheit der unterschiedlichen gegnerischen Truppen nur dann zu verstehen, wenn man aufmerksam der in englischer und italienischer Sprache notierten Übertiteling folgte. Das war nicht immer möglich!

Die Regie hatte den Einfall, die Bühne mit „Engeln“ zu füllen. Das waren Personen, die auf ihrem Rücken riesige Flügel trugen, die oft im gleißenden weißen Licht aufleuchteten. König Carlo VII. trug einen mit der Bourbonenlilie geschmückten langen königsblauen Mantel. Giovanna d’Arco war in ein fußlanges Gewand von weißer Farbe gekleidet. Von Zeit zu Zeit hatte sie zusätzlich einen goldenen Brustpanzer angelegt, der ihre kämpferische Haltung anzeigte. Die dritte Person, die sich in dieser Oper als Hauptperson entpuppte, war Giovannas Vater Giacomo, ein Hirt aus dem Dorf Domrémy (Departement Vosges). Er trägt einen halblangen schwarzem Ledermantel, wollene Hose mit Hosenträgern und am Hals offenem karierten Hemd. Das Gesicht ziert ein Bart nach heutiger Männermode. Erwähnenswert ist es noch, daß nach der heute üblichen Regieeinfall Giovanna von einer Doppelgängerin als Tänzerin begleitet wird, die mit großen Sprüngen wohl die gedachten Bewegungen Giovannas zeigten. Hinzu kam – womöglich um die oratorienhafte Oper zu beleben, das permanente Auftreten des Balletts. Überhaupt ähnelte die Darstellung oft einer Ballettvorstellung, wobei anzumerken ist, daß im Libretto nirgendwo ein Ballett auch nur angedeutet ist.

Sänger und Orchester

Äußerst präzis erklingt in der Sinfonie über dem Streicherchor eine Flöte, die stets die Vergegenwärtigung der Weiblichkeit vermitteln soll. Dirigent Daniele Gatti führt mit sicherer Hand das Orchestra des Teatro dell‘ Opera. Der Flötist besitzt auch den geforderten Erzählton. Es ist die Liebe zwischen dem französischen König Carlo VII. und der einfachen, aber ungemein temperamentvollen Schäferin aus Domrémy. Dann beginnt im Andante pastorale der Flötist Marco Enrico Macalli mit einer reizenden Melodie, die alsbald von einer Klarinette in Terzen und Sexten begleitet wird. Die Liebe von Johanna von Orleans und König Carlo VII. wird hier musikalisch beschrieben. Gatti gelingt es, uns dieses „Gemälde“ plastisch und eindrucksvoll darzubieten. Es folgt der Eingangschor, der mit überwältigender Dynamik die einzelnen  gegnerischen Soldatentrupps vorstellt. Es muß hervorgehoben werden, daß der Chor einen überwältigenden Eindruck im gesamten Verlauf der Oper hierließ.

Der beeindruckendste Sänger war zweifellos der aus Genova stammende Francesco Meli als Carlo VII). Seine Tenorstimme ist klar, klangschön, nie, auch bei Forcierung, aufdringlich, mit einem Wort, eine Stimme besitzt nicht irgendwelche Fehler. Es ist eine Freude, ihn im Gesang zu erleben. Er beginnt mit Amici, v’appressate – Freunde, kommt herbei, dies ist der letzte Befehl des Königs. Seine Stimme klingt hier sehr hell. In seinem Auftrittsgesang wird seine Stimme auch vom Tutti des Orchesters nicht überdeckt und in den Höhenlagen wird sie nicht scharf. Die Stimme bleibt immer sonor und klangvoll. Mit lebhaftem langem Applaus bedankt sich das Publikum.

Mit Sempre all‘ alba ed alla sera – am Morgen wie am Abend richte ich stets mein Gebet an dich erleben wir die Georgierin Nino Machaidze als Giovanna d’Arco – Johanna von Orléans. Ihre Auftrittsarie wird vom Verschleifen der Silben so in ihrer Intonation getrübt, daß kaum Freude für ihre sonst schön timbrierte Stimme aufkommt. Erst gegen Ende der Oper erhält ihre Stimme den Reiz, den ich von früheren Auftritten der Sängerin habe.

Ihr Vater Giacomo (Roberto Frontali) betritt die Bühne mit Franco son io, ma in core m’è prima patrice amore – ich bin Franzose, doch meinem Herzen ist die Ehre wichtiger als das Vaterland. Seiner Stimme gibt er so reichlich Vibrato, daß damit die Wortverständlichkeit arg getrübt wird. Es scheint mir, daß viele Baritone heute diese Allüre haben. Ihre Stimmen werden damit nicht eingängiger und klarer, sondern eher undeutlich. Eigentlich schade, weil daher sein mit Temperament und überzeugender Gestik vorgetragener Gesang stark beeinträchtigt wird.

Fazit

Es gibt im schönen und den vollständigen Text enthaltenem Programm eine Reihe von Szenenabbildungen der Erstaufführung der Oper von 1972 in der Regie von Alberto Fassini, die das Operngeschehen in überzeugende Form darbot. Ein wenig hätte sich der aus Turin stammende Regisseur Davide Livermore davon entleihen sollen. Das Publikum hätte sich wohl mehr gefreut als der höfliche Schlußapplaus es dann bezeugte. Vermutlich war es die Absicht des Regisseurs, Verdis Oper authentisch dazustellen. Aber der Eindruck war keine handlungsdurchwirkte Oper, sondern ein Oratorium, das die Geschichte Frankreichs genau präsentieren wollte. Aber eine Oper sollt schon mehr Handlung aufweisen. Man konnte nicht einmal wegen der fast gleichen Kostüme die Truppe der englischen Vasallen von den Mannen Carlos VII. unterscheiden. So beschlich wohl nicht nur den Autor dieser Rezension des öfteren eine ermüdende Langeweile. Nur gut, daß das Orchester unter Daniele Gatti eine Sternstunde vermittelte.

Dr. Olaf Zenner

Bild: Fabrizio Sansoni

Das Bild zeigt: Roberto Frontali (Giacomo), Nino Machaidze (Giovanna), Francesco Meli (Carlo VII), Chor

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