Das Rheingold – Berlin, Deutsche Oper

von Richard Wagner (1813–1883), Vorabend in vier Szenen zu dem Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen, Text: R. Wagner, UA: 2. September 1869,  München, Nationaltheater

Regie: Stefan Herheim, Bühnenbild: Stefan Herheim und Silke Bauer, Kostüme: Uta Heiseke, Licht: Ulrich Niepel, Video-Design: Torge Møller, Spielleitung: Constanze Weidenknecht und Philine Tiezel, Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach und Jörg Königsdorf

Dirigent: Sir Donald Runnicles, Orchester der Deutschen Oper Berlin

Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: Jeremy Bines

Solisten: Markus Brück (Alberich), Derek Welton (Wotan), Annika Schlicht (Fricka), Valeriia Savinskaia (Woglinde), Arianna Manganello (Wellgunde), Karis Tucker (Floßhilde), Joel Allison (Donner), Attilio Glaser (Froh), Thomas Blondelle (Loge), Ya-Chung Huang (Mime), Andrew Harris (Fasolt), Tobias Kehrer (Fafner), Flurina Stucki (Freia), Judit Kutasi (Erda)

Besuchte Aufführung: 9. November 2021 (Premiere des gesamten Ring-Zyklus)

Kurzinhalt

Wotan hat den Riesen Fasolt und Fafner die Göttin Freia als Lohn für den Bau der Götterburg versprochen. Da die Götter jedoch von Freias Äpfeln essen müssen, um ihre ewige Jugend zu behalten, versucht er mit ihnen zu verhandeln. Dabei hilft ihm Loge, der berichtet, daß der Nibelung Alberich aus dem Rheingold einen Ring geschmiedet habe, der ihm unermeßliche Macht verleiht, indem er die Liebe verflucht habe. Diese Macht nutze er nun, um sein Volk zu knechten, das ihm Schätze schürfen und schmieden müsse. Die Riesen willigen ein, Freia gegen den Schatz des Nibelungen zu tauschen, und Loge und Wotan begeben sich nach Nibelheim, wo sie Zeuge von Alberichs Schreckensherrschaft werden, der ihnen seinen Plan verrät, mit dem Gold der Nibelungen sich die gesamte Welt zu unterwerfen. Loge gelingt es durch eine List, Alberich zu fesseln und gemeinsam mit Wotan zwingt er ihn, ihnen seinen Schatz, einen Tarnhelm und den Ring, auszuhändigen. Dafür belegt Alberich den Ring mit einem Fluch, der seinem Träger den Tod bringen soll. Die Riesen bestehen auf der Übergabe des gesamten Schatzes zusammen mit dem Ring, den Wotan nicht herzugeben bereit ist. Erst nachdem die Göttin Erda ihn vor dem Ring warnt und ihm das Ende der Götter prophezeit, wird der Tausch vollzogen. Fafner erschlägt seinen Bruder Fasolt, um an den Ring zu kommen und die Götter ziehen in ihre Burg ein, die von Wotan den Namen Walhall erhält.

Aufführung

An dieser Stelle werden nur einige Momente der Aufführung beschrieben. Die Inszenierung als Ganze wird eingehender in einer abschließenden Bewertung des gesamten neuen Berliner Rings besprochen werden. Die Bühne ist offen, als die Zuschauer ihre Plätze einnehmen, und sobald eine Gruppe mit Koffern die Bühne betritt, kehrt Ruhe ein. Das Orchester beginnt mit dem Vorspiel. Die Gruppe Statisten, die sich häufig auf der Bühne aufhalten, plazieren ihre Koffer unter einem Flügel in der Bühnenmitte und ziehen sich bis auf die Unterwäsche aus, während die Rheintöchter, die sich unter den Reisenden oder Flüchtenden befinden, zu singen beginnen. Alberich ist ebenfalls Teil der Gruppe. Er schminkt sich eine Clownsmaske bevor er seinen ersten Einsatz hat. Die Statisten haben mehrere Funktionen. Entweder sie verdoppeln den gesungenen Textinhalt pantomimisch oder sie werden zur szenischen Dekoration und deuten etwa die Wogen des Rheins an. Die Götter und Riesen sind Karikaturen. Freia hat zwei riesige goldene Äpfel vor der Brust hängen, Donner und Froh sehen wie zwei Tanzmusiker in weiß aus. Sie alle agieren übertrieben und ironisch. Mime sieht aus wie Richard Wagner und schmiedet seinem Bruder Alberich einen Helm, mit dem der, den Hitlergruß entbietend, Nibelheim kurzerhand in eine faschistische Diktatur verwandelt. Loge hat große Ähnlichkeit mit Gustaf Gründgens (Mephisto), spielt aber wesentlich holzschnittartiger. Wotan und Fricka versuchen seriös zu wirken, was bei den zahlreichen selbstironischen Scherzen – Erda ist die Souffleuse, die den Göttern die Ring-Handlung erklärt, Wotan steigt ihr anschließend in Unterwäsche nach – nicht gerade einfach ist.

Sänger und Orchester

Sir Donald Runnicles läßt es eher leise angehen. Die Klänge aus dem Orchester sind immer rund und durchgestaltet, die Akzente – also in erster Linie die Orchesterzwischenspiele – werden klar gesetzt und den Wünschen der Sänger wird entsprochen. Mitunter wird das Tempo daher schnell angezogen, wenn ein Sänger davonzueilen droht. Vielleicht könnte man an einigen Stellen etwas mehr riskieren und die Kräfte dieses großbesetzen Klangkörpers entfesseln auf die Gefahr hin, daß er etwas roher klingen dürfte. Wie auch immer, das Orchester stellt die solide musikalische Basis dieses Abends dar, während die sängerischen Leistungen ein wenig heterogen waren. Beginnen wir mit den geglückten Leistungen dieses Abends: Derek Walton (Wotan) spielt und singt seine Rolle, so ihn die Regie denn läßt, ruhig und würdevoll. Seine Stimme und Aussprache passen ausgezeichnet dazu. Thomas Blondelle (Loge) hat die vielleicht dankbarste Partie im Rheingold. Seine Aussprache und Mimik sind überaus deutlich, seine Körpersprache einheitlich diabolisch und sehr beweglich, seine Stimme trägt gut. Allerdings hat er wie alle Darsteller so viele Aktionen auszuführen, daß er vor lauter Agieren mit dem Text durcheinanderkommt. Das geschieht auch anderen Sängern an diesem Abend!

Die beiden Sänger der Riesen, Andrew Harris (Fasolt) und Tobias Kehrer (Fafner), sehen aus wie Landstreicher in skandinavischen Kinderfilmen. Aber sie verfügen beide über eine voluminöse Baßstimme. Sie haben eine wohltuend klare Diktion. Letzteres läßt sich auch über Annika Schlicht (Fricka) und auch Flurina Stucki (Freia) sagen, die die wenigen kantablen Partien im Rheingold schön und ausgewogen vortragen.

Ya-Chung Huang sang sehr gut, hatte aber durch seine steife Wagnermaske keine Möglichkeit, seine Rolle als Mime irgendwie mimisch zu gestalten. Überraschend fielen an diesem Abend mehrere Textschwächen auf, u.a. bei Markus Brück (Alberich) und Joel Allison (Donner). Brück kann durchaus laute, wohlklingende Töne produzieren, wozu diese Partie allerdings nicht angetan ist. Hier käme es auf eine sprecherische Gestaltung der Vokallinien an; vielleicht würde sich hier eher ein gellender denn ein heiserer Ton anbieten, den er mitunter anschlägt. Seinen Text hat man nicht sonderlich gut verstanden. Auch an der Aussprache der Rheintöchter wäre noch etwas zu verbessern.

Fazit

Mit der ersten vollständigen Aufführung des neuen Berliner Ring – die Produktionen der Walküre (s. OPERAPOINT 28.09.2020) und der Götterdämmerung (s. OPERAPOINT 21.10.2021) haben wir bereits besprochen – werden sich einige szenische Zusammenhänge zwischen den vier Teilen vielleicht klären – oder auch nicht. Die Rolle der Komparsen bleibt nach wie vor im Dunkeln. Handelt es sich um Emigranten, um Flüchtlinge oder um Menschen, die deportiert werden? Warum befinden sich Alberich und die Rheintöchter unter ihnen? Wie auch immer, sämtliche Akteure, einschließlich der stummen Partien, spielen ihre Rollen mit Hingabe. Die Inszenierung ist vom Bühnenbild her sehr abwechslungsreich wie es sich für den Vorabend der Tetralogie mit seinen ständigen Schauplatzwechseln auch gehört. Die szenischen Aktionen halten durchweg ein hohes Tempo. Anders gesagt: Die Angst der Regie vor szenischem Stillstand ist mit Händen zu greifen. Ständig wird zu einer Orchesterpassage getanzt, der Flügel traktiert, übertrieben gestikuliert oder die Rheingold-Partitur herumgereicht. Dieses Spiel mit zahlreichen Metaebenen und die ruhelose Personenregie ist der Verständlichkeit der Inszenierung nicht gerade zuträglich. Sie macht es auch den Sängern schwer, eine Rolle zusammenhängend zu gestalten und selbst der Orchestervortrag scheint, zumindest in der Wahrnehmung aus dem Zuschauerraum, an der hyperaktiven Regie zu leiden. Zu vieles ist wie in einem Trickfilm oder im alten Vaudevilletheater musikalisch-szenisch exakt zu koordinieren, zu viele szenische Einfälle stören die Entwicklung einer musikalischen oder erzählerischen Linie. Das Publikum hatte seine Freude an den guten sängerischen Leistungen an diesem Abend. Bei einigen Aktionen auf der Bühne war aber ein berechtigtes Stöhnen aus dem Zuschauerraum zu vernehmen.

Dr. Martin Knust

Bild: Bernd Uhlig

Das Bild zeigt: Andrew Harris (Fasolt), Thomas Blondelle (Loge), Tobias Kehrer (Fafner), Annika Schlicht (Fricka), Flurina Stucki (Freia), Derek Welton (Wotan)

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