Siegfried – Berlin, Deutsche Oper

von Richard Wagner (1813–1883), zweiter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen, Text: Richard Wagner UA: 16. August 1876 Bayreuth

Regie: Stefan Herheim, Bühnenbild: Stefan Herheim und Silke Bauer, Kostüme: Uta Heiseke, Licht: Ulrich Niepel, Video-Design: Torge Møller, Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach und Jörg Königsdorf

Dirigent: Sir Donald Runnicles, Orchester der Deutschen Oper Berlin

Solisten: Clay Hilley (Siegfried), Ya-Chung Huang (Mime), Iain Paterson (Wanderer), Tobias Kehrer (Fafner), Judit Kutasi (Erda), Nina Stemme (Brünnhilde), Sebastian Scherer (Waldvogel)

Besuchte Aufführung: 12. November 2021 (Premiere)

Kurzinhalt

Siegfried, der Sohn der Geschwister Siegmund und Sieglinde, wird von Alberichs Bruder, dem Zwerg Mime, einsam im Wald aufgezogen. Mimes heimliches Ziel ist es, den starken und furchtlosen Jüngling gegen den Drachen Fafner aufzustacheln, damit er ihn töte und seinem Ziehvater so den Ring verschaffe. Doch Siegfried begehrt gegen Mime auf und wird zunehmend unkontrollierbar. Er zwingt ihn, ihm den Namen seiner Mutter zu nennen und schmiedet sich aus den Trümmern des Schwertes Nothung ein neues Schwert, mit dem er sich zur Drachenhöhle aufmacht. Als er den Riesenwurm Fafner getötet hat, bringt er den Ring an sich und erkennt nun auch die List und Berechnung Mimes. Aus Zorn bringt er ihn um und macht sich auf zum Brünnhildefelsen, um dort die Walküre zu erwecken. Den Weg dorthin versperrt ihm der Wanderer, der durch die Menschenwelt streifende Gott Wotan, und es kommt zum Kampf. Wotans Speer, der ihm die Macht über die Welt sicherte, wird zerschlagen und seine Herrschaft neigt sich damit dem Ende zu. Siegfried durchbricht den Feuerkreis, weckt Brünnhilde und beide entbrennen in Liebe zu einander.

Aufführung

Alle drei Aufzüge spielen sich inmitten eines Gebirges aus Koffern ab. Im ersten Aufzug hebt sich die Bühne und man erblickt Mime in seiner Werkstatt, der wie eine Karikatur von Richard Wagner aussieht. Blechblasinstrumente hängen von der Decke. In allen Aufzügen wird, wie in den vorigen Teilen des Ring auch, eine Partitur des Stückes herumgereicht, die die Sänger gelegentlich aufschlagen und am Ende zerfetzen. Siegfried tritt im historischen Kostüm auf und auch der Wanderer sieht so aus, wie man ihn aus älteren Inszenierungen kennt. Brünnhilde hat in Unterwäsche zu singen und Alberich erscheint wieder in seiner Maske als böser Clown oder Joker. Beeindruckend ist der Drachen, der die gesamte Bühne einnimmt. Neben den Koffern als Bühnenelement und dem Flügel in der Bühnenmitte werden in dieser Ring-Inszenierung häufig große Seidentücher verwendet, die entweder durch die Luft zu schweben scheinen oder als Videoprojektionsfläche schnell aufgezogen werden. Das ist jedoch nicht ganz ohne Risiko, denn, wie an diesem Abend geschehen, diese Tücher können sich dabei in den Kulissen verhaken, was dann Sänger und Bühnentechniker zum schnellen Improvisieren zwingt. Etliche Aktionen, die in Wagners Textbuch vorgeschrieben sind, bekommt man zu sehen, einige aber nicht. Statt eines Bären hetzt Siegfried beispielsweise Alberich auf seinen Ziehvater Mime, statt mit seinem neugeschmiedeten Schwert den Amboß zu zerteilen stellt sich Siegfried vor eine gigantische Weltkarte, Wotans Speer wird von vielen Figuren spielerisch geführt, Erda ist, wie schon im Rheingold, die Souffleuse, die Wotan auf die Bühne holt usw. Die Statisten, die stumm dem Spiel der Hauptfiguren folgen, erscheinen erst im letzten Aufzug und haben sich wieder einmal ihrer Kleider zu entledigen, während Siegfried und Brünnhilde singen. Mehr szenische Einzelheiten werden in der Gesamtkritik des neuen Berliner Rings besprochen werden.

Sänger und Orchester

Sir Donald Runnicles hatte an diesem Abend ein paar stimmstarke Sänger auf der Bühne, und das dynamische Niveau lag dementsprechend höher als in den vergangenen beiden Teilen. Die Schmiedelieder Siegfrieds im ersten Aufzug ließen an Kraft und Wucht nichts zu wünschen übrig. Im dritten Aufzug, der ja stärker instrumentiert ist als die vorigen, rückte das Orchester dann klanglich in den Vordergrund. Die orchestralen Nebenstimmen und Details, an denen die letzten vier Aufzüge der Tetralogie reicher sind als die übrigen, wurden herausgehoben. Eine wenig hektisch ging es am Beginn des ersten Aufzugs zu. Siegfrieds erste Szene mit Mime und der Anfang der Wandererszene wurden recht schnell genommen, so daß manche Einsätze von Sängern und Instrumenten rhythmisch nicht ganz auf dem Punkt waren. Auch das Wanderer-Thema wollte bei den ersten Malen noch nicht recht leuchten.

Der Sänger der Titelrolle Clay Hilley kann ohne Übertreibung als Idealbesetzung für diese Rolle angesehen werden. Darstellerisch nimmt man ihm den naiven und energischen jungen Helden ab. Er versteht es, die komischen Momente seiner Partie herauszustellen, ohne seine Figur der Lächerlichkeit preiszugeben. Und dann ist da natürlich seine Stimme. Scheinbar mühelos und sicher nimmt diese die hohen und lauten Passagen seiner Partie, weiß dabei dynamisch und klanglich zu nuancieren, und hat eine ausgezeichnete Aussprache. Es war wirklich eine Freude, ihm den Abend über zuzusehen und zuzuhören. Nina Stemme (Brünnhilde) ist ihm als Partnerin sängerisch ebenbürtig und so konnte man das laute und musikalisch nicht ganz unproblematische „Duett“ der beiden am Ende des Siegfried bestaunen, bei dem trotz der blechgepanzerten Begleitung immer noch differenziert musikalisch abgestuft wurde. Iain Paterson (Wanderer) konnte seine Rolle einheitlich durchgestalten. Auch seine Aussprache ist ausgezeichnet, seine Stimme trägt und seine würdevolle Ausstrahlung wurde nicht durch ironische Momente durchbrochen. Ya-Chung Huang als Mime gehörte zu Recht zu den Darstellern, die an diesem Abend den meisten Applaus einheimsten. Auch er spricht wunderbar deutlich und hatte in seinem grotesken Kostüm viele, oft hektische Aktionen auszuführen. Man kann die Personenregie der bisher erwähnten Figuren als konventionell oder vielleicht sogar als altertümlich bezeichnen. Die Entscheidung, den Waldvogel von einem Kind (Sebastian Scherer) singen zu lassen, ist allerdings zu hinterfragen. Gewiß, in einem frühen Stadium seiner Arbeit an dem Stück hatte Wagner die Idee, diese Rolle mit einem Knaben zu besetzen. Aber die Partie ist dann doch zu schwer für ein Kind, wie man an diesem Abend hören konnte. Sebastian Scherer sang, so gut man in seinem Alter überhaupt nur singen kann, vor allem die höchsten Töne. Doch einige Silben und kurze Töne in mittlerer Lage kamen nicht heraus. Erschwerend hinzu kam die recht mystische Regieidee, den Waldvogel als blutendes Kind darzustellen, das von Siegfried aus irgendeinem Grund gequält wird.

Fazit

Dies war die letzte Premiere des neuen Berliner Ring, und die Inszenierung ist vielleicht von allen vier Dramen diejenige, die sich am engsten an die originale Handlung hält. Von den Sängern her ist dieser Teil am stärksten besetzt, es gibt ausschließlich hervorragende Leistungen zu bewundern. Die Wechsel der Szenerie sind gelungen – bis auf die erwähnte Panne –, es gibt wie in den anderen Teilen auch heitere Momente, die im Siegfried allerdings eher am Platze sind, und in die ersten beiden Aufzüge waren im besten Sinne des Wortes kurzweilig. Die letzte gut halbstündige Szene hatte jedoch ihre Längen, denn hier geschah im Grunde nichts anderes, als daß die Sänger aus der Siegfried-Partitur sangen und sich die Statisten auszogen. Zwar versuchten beide Sänger, die schwierige Annäherung Brünnhildes an Siegfried mimisch nachvollziehbar zu gestalten, es wollte aber nicht recht gelingen. Alles in allem: Dieser Teil des Ring ist szenisch so gestaltet und sängerisch so gut besetzt, daß man über einzelne Schwächen und Manierismen dieser Inszenierung hinwegsehen kann. Die große Spielfreude, die dieser Produktion zu eigen ist, traf hier auf ein Stück, zu dem sie gut paßt, die Schlußszene ausgenommen.

Dr. Martin Knust

Bild: Bernd Uhlig

Das Bild zeigt: Clay Hilley (Siegfried), Waldvogel

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