von Richard Strauss (1864-1949), Libretto: Hugo von Hofmannsthal, UA: 25. Januar 1909 Dresden. Königliches Opernhaus
Regie: Dmitri Tcherniakov Kostüme: Elena Zaytseva Licht: Gleb Filshtinsky Video: Tieni Burkhalter
Dirigent: Kent Nagano, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Solisten: Violeta Urmana (Klytämnestra), Aušriné Stundyté (Elektra), Jennifer Holloway (Chrysothemis), John Daszak (Aegisth), Lauri Vasar (Orest), Chao Deng (Pfleger des Orest), Luminita Andrei (Vertraute), Tahnee Niboro (Schleppträgerin), Thomas Ebenstein (junger Diener), Hubert Kowalczyk (Alter Diener), Brigitte Hahn (Brigitte Hahn), Marta Świderska (Erste Magd), Kady Evanyshyn (Zweite Magd), Kristina Stanek (Dritte Magd), Gabriele Rossmanith (Vierte Magd), Hellen Kwon (Fünfte Magd)
Besuchte Aufführung: 28. November 2021 (Premiere)
Im antiken Griechenland. Agamemnon wurde nach der Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg von seiner Frau Klytämnestra und ihrem Geliebten Aegisth ermordet. Elektra brachte ihren Bruder Orest in Sicherheit und kehrte an den Hof von Mykene zurück, wo sie wie eine Ausgestoßene lebt und laut von der Rache an ihrer Mutter und an Aegisth durch Orest fantasiert. Doch dann erzählt ihre Schwester Chrysothemis zunächst, daß Orest gestorben sei. Nun will Elektra, daß stattdessen Chrysothemis die Rache vollstreckt. Diese lehnt jedoch ab. Schließlich erscheint jedoch ein Fremder, der sich ihr gegenüber als Orest zu erkennen gibt. Mit Elektras Hilfe töten sie Klytämnestra und Aegisth. Elektra tanzt vor Freude, bis sie zusammenbricht.
Aufführung
Die Aufführung verlegt das Geschehen in die Zeit der Entstehung der Oper, in das Wohnzimmer eines großbürgerlichen Anwesens à la Buddenbrooks. Dementsprechend kommt alles sehr bürgerlich daher. Das Quartett der Mägde zu Beginn ist eine Teestunde, die burschikos zurechtgemachte Elektra ist das schwarze Schaf der Familie. In ihrem Agamemnon-Arioso platziert sie nach und nach Plüschtiere auf dem Tisch und bastelt sich aus ihren eigenen Klamotten als lebensgroße Puppe den Vater, den sie so sehr vermißt. Klytämnestra wirkt als körperlich ausfällige Hausherrin mit lichtem abstehendem Haar so, als habe der Mord an ihrem Mann sie schon früh in die Demenz gestürzt.
Bei aller Modernisierung jedoch orientiert der Text sich nah am Libretto. So schwingt Elektra am Schluß etwa eine Taschenlampe, wenn Aegisth sich von ihrem „Licht“ gestört fühlt. Durch diese Verankerung der griechischen Tragödie im Realismus des Normalen, erhält der expressiv morbide Text von Hofmannsthal eine ironische Note, das Ganze hat mitunter etwas von einem Spiel im Spiel. Drastische Effekte inklusivem Blut gibt es erst am Schluß nach den beiden Rachemorden. Die größte Abweichung zum Libretto besteht wohl darin, daß Orest am Ende per Übertext als Serienmörder entlarvt wird, der mit dem Geschehen eigentlich gar nichts zu tun hat, und darum dann auch noch Chrysothemis ersticht. Leider steht dieser Einfall recht isoliert da und mag sich nicht recht ins Gesamtkonzept fügen.
Sänger und Orchester
Neben Violeta Urmanas Klytämnestra entpuppte das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter Kent Nagano sich als der Premierenstar, denn so differenziert und zugleich zupackend hört man das ungewöhnlich groß besetzte Strauss’sche Elektra-Orchester wohl nur selten. Von hochnervösen psychischen Klangfiguren und Gesten über brutale Geräuscheffekte bis zu bewußt kitschigem melodischen Schwelgen – hier war alles klar zu vernehmen und transportierte zugleich jene rauschhaft expressive Wucht, die dieses Werk so einzigartig macht. Und das mit einer spieltechnischen Sicherheit, Detailversessenheit und Beseeltheit, die immer wieder Erstaunen ließ. Erneut zeigte sich hier, daß Nagano nicht nur ein Mann für die Moderne ist, sondern auch für groß besetzte Werke.
Als titelgebende Elektra hinterließ Aušriné Stundyté einen gemischten Eindruck. Einerseits war sie in den intensiven Momenten ganz da und schleuderte ihre Spitzentöne bis in die hintersten Reihen, andererseits gingen vor allem im Parlando und im Mezzoforte viele Feinheiten von Hofmannsthals Text verloren und waren schlicht nicht zu hören. Auch schauspielerisch wirkte sie vergleichsweise zurückhaltend, was jedoch genau so gut auch der Regie liegen könnte. Deutlich präsenter, weil durchschlagskräftiger, wirkte da Jennifer Holloway als Elektras Schwester Chrysothemis, die alles in allem intensiver und plastische gestaltete. In einer eigenen Liga spielte an diesem Abend Violeta Urmanas geistig umnachtete Klytämnestra. Urmana artikulierte mit plastischer Klarheit, die ihresgleichen suchte. Zugleich verstrahlte sie ein ‚wahnsinniges‘ Charisma, das sie prädestiniert für diese Rolle machte. Der Orest von Lauri Vasar verstrahlte Autorität, während John Daszak als Aegisth den Spagat zwischen komischer Figur und Mordkomplizen spielend meisterte. Die zahlreichen kleineren Rollen waren allesamt passend besetzt und wußten zu überzeugen.
Fazit
Am Premierenabend übertönte der Jubel die vereinzelten Buhs für das Regieteam um. Musikalisch überzeugt diese expressive Hamburger Elektra unbedingt, vor allem die Leistung des Orchesters ist hervorzuheben, und auch die Inszenierung weiß zu gefallen.
Dr. Aron Sayed
Bild: Monika Rittershaus
Das Bild zeigt: Aušriné Stundyté (Elektra), Jennifer Holloway (Chrysothemis), Violeta Urmana (Klytämnestra), Luminita Andrei (Vertraute)