Die Sache Makropulos – Staatsoper Berlin

von Leoš Janáček (1854–1928), Oper in drei Akten, Libretto: Leoš Janáček nach dem gleichnamigen Schauspiel von Karel Čapek,

UA: 18. Dezember 1926 Národní divadlo, Brno (Brünn)

Regie: Claus Guth, Bühne:Étienne Pluss, Kostüme: Ursula Kudrna, Licht: Sebastian Alphons, Choreographie: Sommer Ulrickson, Dramaturgie: Yvonne Gebauer und Benjamin Wäntig

Dirigent: Sir Simon Rattle, Staatskapelle Berlin

Solisten: Marlis Petersen (Emilia Marty), Ludovit Ludha (Albert Gregor), Peter Hoare (Vítek), Natalia Skrycka (Krista), Bo Skovhus (Jaroslav Prus), Spencer Britten (Janek), Jan Martinik (Dr. Kolenatý), Jan Ježek (Graf Hauk-Šendorf), u.a.

Besuchte Aufführung: 13. Februar 2022 (Premiere)

Kurzinhalt

Ein sich seit einem Jahrhundert hinziehender Erbstreit steht vor seinem Abschluß. Es geht um das Landgut Loukov, das Albert Gregor und Jaroslav Prus beanspruchen. Gregor muß mit einem Schriftstück beweisen, daß das Gut seinen Vorfahren zusteht, also mit einem Testament des 1827 verstorbenen Baron Prus. Er wartet im Anwaltsbüro von Dr. Kolenatý, der mit der berühmten Opernsängerin Emilia Marty eintritt. Sie kann ihm zum Erstaunen aller genau sagen, wo er das Testament finden kann und was darin steht, nämlich daß das Gut dem unehelichen Sohn des Barons Ferdinand Gregor, den er mit der Sängerin Ellian MacGregor gehabt habe, vererbt werden solle. Dr. Kolenatý läßt das Dokument holen. Nun muß aber auch ein Nachweis dafür gefunden werden, daß Ferdinand Gregor wirklich der Sohn des Barons war. Emilia Marty bietet Albert Gregor an, diesen Nachweis zu erbringen und bittet im Gegenzug um ein griechisches Dokument, das in seinem Besitz sein müsse.

Nach der Vorstellung im Theater, bei der sie mit großem Erfolg aufgetreten ist, warten mehrere Bewunderer auf die gefeierte Sängerin, die sie allesamt unfreundlich abfertigt. Nur dem alten Graf Hauk-Šendorf, der in ihr eine Liebhaberin wiederzuerkennen glaubt, die er vor fünfzig Jahren hatte, gibt sie einen Kuß. Jaroslav Prus gibt bekannt, er habe ein versiegeltes griechisches Dokument und viele alte mit „E.M.“ unterschriebene Liebesbriefe an den Baron Prus gefunden. Dabei handele es sich ihm zufolge doch nicht um Ellian MacGregor, sondern um Elina Makropulos. Damit wäre Gregor nicht der Erbe des Landgutes. Jaroslav Prus bietet Emilia Marty das griechische Dokument gegen eine Liebesnacht an.

Am nächsten Morgen gibt er es ihr und erfährt vom Selbstmord seines Sohnes Janek, aus unglücklicher Liebe zu Emilia. Sie zeigt sich davon völlig ungerührt. Kolenatý, Gregor und andere kommen herein. Emilia Marty soll das Dokument, mit dem sie Gregors Abstammung von Prus belegt hat, gefälscht haben. Man durchsucht ihr Gepäck und findet weitere Papiere, die Fragen aufwerfen. Emilia gibt ihr Geheimnis preis. Sie ist 1585 auf Kreta geboren und heißt Elina Makropulos. Ihr Vater, ein Alchmist, hatte an ihr als Kind ein Unsterblichkeitselixier ausprobiert. Seitdem habe sie viele Namen gehabt und an vielen Orten gelebt. Sie ist die Vorfahrin von Albert Gregor. Nach 300 Jahren nehme die Wirkung des Elixieres ab, doch sie wünsche sich nicht, noch länger zu leben und übergibt das Rezept ihres Vaters Krista, der Tochter, des Anwaltsgehilfen Vítek, die es verbrennt.

Aufführung

Die Bühne ist in drei Segmente unterteilt, die sich seitlich verschieben lassen. In der Mitte befindet sich eine Art riesiger Kühlkammer, in der Emilia Marty zwischen den Akten ihre Kleidung und Perücke wechselt. Dabei hört man schweres Atmen über die Lautsprecher. Die drei Akte der Oper werden ohne Unterbrechung gespielt. Neben den Sängern, deren Kostüme wie das Ambiente im Stil der Entstehungszeit des Werkes gehalten sind, gibt es stumme Figuren und Tänzer, die mitunter den Gesangstext pantomimisch verdeutlichen. So gehen gelegentlich ein junges Mädchen im Kleid einer spanischen Infantin und eine alte Frau am Stock als Doppelgängerinnen Emilia Martys über die Bühne. Insgesamt folgt die Regie recht eng den originalen Vorgaben im Libretto (das dankenswerterweise dem Programmheft beigelegt wurde), addiert aber eben besagte Komparsen und tänzerische Aktionen. Die Personenführung der Sänger ist konventionell während die Tänzer oft in verrenkten Posen verharren.

Sänger und Orchester

Marlis Petersen (Emilia Marty) war an diesem Abend das Zentrum des szenischen und musikalischen Geschehens. Ihre Partie ist nicht zuletzt im letzten Akt ein sängerischer Kraftakt, den sie mit Bravour bewältigte. Darstellerisch war sie ebenfalls souverän. Ihre mystische Verwandlung zu einer sich schwerfällig bewegenden Greisin in den Zwischenakten kontrastierte mit den drei Akten, in denen sie die verführerische junge Frau gibt. Verglichen mit ihrer die Handlung vollkommen dominierenden Rolle nehmen sich die übrigen Partien alle als Nebenrollen aus. Da die Oper zudem sehr viel Gesangstext hat, ist der größte Teil dieser Partien rezitativisch, ohne spektakuläre lyrische oder belcantistische Passagen, in denen man glänzen könnte.

Die nächst der Hauptrolle längsten Partien hatten Ludovit Ludha (Albert Gregor) und Bo Skovhus (Jaroslav Prus) übernommen, die sie ausdrucksvoll und in Balance mit dem gelegentlich lautstarken Orchester vortrugen. Beide Männer bedrängen die Marty und sind von ihr zugleich angezogen und abgestoßen. Ihre Figuren wie auch die des Dr. Kolenatý, gespielt von Jan Martinik, und des Graf Hauk-Šendorf, gespielt von Jan Ježek, tragen komödiantische und tragikomische Züge, die sie schön herausspielten. Keine der männlichen Rollen ist heroisch, sondern sie bieten ein Panoptikum moralischer Schwächen, welche die Marty relativ unbeteiligt ausnutzt.

Simon Rattle, ein Janáček-Experte, hatte die Staatskapelle Berlin voll im Griff. Janáčeks Orchestersatz ist oft blockhaft instrumentiert und dynamisch plötzlich wechselnd. Diese schroffen Übergänge gelangen problemlos und die zupackenden orchestralen Vor- und Nachspiele setzten klare Zäsuren.

Fazit

Die Sache Makropulos wird von Janáčeks späten Opern am seltensten gezeigt. Das mag zum einen an der Handlung liegen, die literarische Gattungen wie Kriminalstück und Schauerroman mit philosophischen Überlegungen zur Endlichkeit der menschlichen Existenz vermischt, was schwer darzustellen ist, oder auch an der vergleichsweise wenig eingängigen Musik. Die eindrücklichsten Passagen liegen hier im Orchester, nicht bei den Solisten. Die Regie wählte eine Inszenierung dicht an der Handlung im Libretto, die von stummen Darstellern und Tänzern verdeutlicht wird, welche die Hauptrolle klar in den Fokus rückt. Es wird sehr schön musiziert. Die fremdartigen Orchesterklänge tragen den tschechischen Sprechgesang der Sänger, die engagiert und zupackend spielen. Daß dennoch gelegentlich Längen entstehen, ist nicht der Regie, sondern dem bisweilen etwas holperigen Handlungsfluß der Oper anzulasten. Ein spannendes Erlebnis ist diese Produktion allemal.

Dr. Martin Knust

Bild: Barbara Braun/ MuTphoto

Das Bild zeigt: Marlis Petersen (Emilia Marty) in der Mitte mit der Vision ihrer hochbetagten Persönlichkeit (im Vordergrund). Im Hintergrund stehend v.l.n.r. Ludovit Ludha (Albert Gregor) und Jan Martinik (Dr. Kolenatý).

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