von Richard Wagner (1813-1883), erste Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen, Libretto: R. Wagner UA: 26. Juni 1870, Staatsoper München
Regie: John Fuljames, Bühnenbild und Kostüme: Tom Scutt, Licht: DM Wood
Dirigent: Thomas Søndergård, Königlich dänische Hofkapelle
Solisten: Bryan Register (Siegmund), Morten Staugaard (Hunding), Tomasz Konieczny (Wotan), Ann Petersen (Sieglinde), Hanne Fischer (Fricka), Trine Møller (Brünnhilde), u.v.a.
Besuchte Aufführung: 6. März 2022 (Premiere)
Sieglinde findet in ihrer Hütte einen fremden Mann vor, der sich auf der Flucht befindet. Er stellt sich ihr und ihrem Mann Hunding als Wehwalt vor. Während der Erzählung seiner Flucht wird deutlich, daß er ein Feind von Hundings Sippe ist. Hunding gewährt ihm Asyl für eine Nacht und kündigt an, ihm am nächsten Tag nachzusetzen. Alle begeben sich zur Ruhe. Sieglinde, die ihren Gatten betäubt hat, erscheint. Siegmund offenbart ihr seine wahre Identität und zieht das Schwert Nothung aus dem Stamm einer Esche, die in der Hütte steht. Beide entdecken, daß sie Zwillingsgeschwister sind und verlieben sich ineinander. Daraufhin stellt Fricka, die Schutzgöttin der Ehe, ihren Gatten Wotan zur Rede. Siegmund und Sieglinde sind seine außerehelichen Kinder, ebenso wie die neun Walküren. Die Walküren haben gefallene Helden nach Walhall zu bringen, die die Götterburg vor einem Angriff Alberichs verteidigen sollen. Siegmund soll den Ring des Nibelungen an sich bringen. Doch, wie Fricka ihrem Mann darlegt, wäre das ein Verstoß gegen seine eigenen Gesetze. Wotan befiehlt Brünnhilde, Siegmund im Kampf mit Hunding sterben zu lassen. Sie erscheint Siegmund und verkündet ihm seinen baldigen Tod. Von Schmerz überwältigt droht er damit, sich und seine ohnmächtige Zwillingsschwester zu töten. Brünnhilde empfindet Mitgefühl und setzt sich über Wotans Befehl hinweg, der dann selbst in den Kampf eingreift und Hunding den Sieg davontragen läßt. Unterdessen sammeln sich die Walküren, um nach Walhall zu ziehen. Brünnhilde bittet sie um Hilfe für Sieglinde, die von Siegmund ein Kind erwartet, doch vergebens. Sieglinde flieht in den Wald und Brünnhilde erwartet ihren zornigen Vater, der sie aus Walhall verstößt. Er versenkt sie in Schlaf und schließt einen Kreis aus Feuer um ihren Felsen, der nur von demjenigen, der seinen Speer nicht fürchtet, durchbrochen werden kann.
Aufführung
Die Bühne wird in allen drei Aufzügen von einer großen Treppe dominiert. Im ersten spielt sich die Handlung in Hundings Hütte unter der Treppe ab, im zweiten steht sie am rechten Rand, im dritten in der Mitte der Szene. Die Darsteller von Wotan und Walküren befinden sich in allen Aufzügen auf der Bühne und haben im ersten Aufzug stumme Aktionen am Rand auszuführen, die die Handlung in der Hütte kommentieren. Wotan erscheint im ersten Aufzug als Demiurg mit den Walküren als seinen Assistentinnen, die an Schreibtischen sitzen. Hundings Hütte ist ihr Labor für ein soziales Experiment, das glückt. Mit Frickas Forderung nach Beendigung dieses Experimentes wird Wotans Büro aufgelöst. Es befinden sich von Aufzug zu Aufzug immer weniger Akteure auf der Bühne. Das karge Bühnenbild des dritten Aufzugs wird durch starke Effekte belebt, etwa bei Wotans Abschied am Schluß, bei dem Brünnhilde auf ihrem Felsen in die Höhe entschwebt. Die Kostüme sind unspektakulär und entsprechen der aktuellen Mode. Fricka trägt einen eleganten Anzug, Wotan eine Art Kittel und Hunding erscheint im Holzfällerlook. Die Regie konzentriert sich auf psychologische Prozesse und Interaktionen zwischen den Figuren. Sie setzt viele Regieanweisungen Wagners um und deutet den Wortinhalt des Gesangstextes aus. Das geschieht gelegentlich visuell, etwa wenn Wotan in seinem Monolog im zweiten Aufzug den Sohn Alberichs erwähnt und Alberich mit einem Kind auf dem Arm am Rande sichtbar wird. Es gibt keine ironisierenden oder das musikalisch-dramatische Konzept verfremdenden Einschläge, sondern die musikalischen und szenischen Wende- und Höhepunkte werden so umgesetzt, wie es die Partitur erfordert. Obwohl es nur wenige szenische Elemente gibt, gelingt es mit Hilfe von Licht, Statisten und Umgruppierungen von Requisiten viele Schauplätzen zu schaffen. So entsteigen zur bekannten Musik des sogenannten Walkürenrittes die gefallenen Helden einem Schutthaufen und wanken die Treppe in der Bühnenmitte hinauf der mit Lichtpanelen angedeuteten Götterburg entgegen.
Sänger und Orchester
Die großartige Akustik im Kopenhagener Opernhaus ließ das Orchester unter der Leitung von Thomas Søndergård in allen Farben satt erstrahlen und die erwähnte Treppe sowie mehrere leuchtende Platten auf der Bühne fungieren als Schallreflektoren für die Sänger, so daß ihre Stimmen und der Text gut durch das starke Orchester hindurchkamen. Alle Sänger, von denen keiner deutscher Muttersprachler ist, sprachen sehr gut oder sogar ausgezeichnet aus. Zu den Leistungen im einzelnen: Bryan Register (Siegmund) hat eine wohlklingende, über viele Schattierungen verfügende Tenorstimme. Seine Aussprache ist deutlich und klar; einzig das „ch“ (wie in Ach), ein schwieriger Laut für Sänger, steht ihm nicht zur Verfügung. Darstellerisch wirkte er gelegentlich ein wenig unsicher. Ann Petersens Leistung als Sieglinde war sängerisch heterogen. Sie hat schöne, starke, hohe Töne zur Verfügung und vermag ihre lyrischen Parts sauber durchzugestalten. Aber in den schnellen Sprechgesangspassagen forcierte sie leider. Schauspielerisch war ihre Leistung absolut solide. Morten Staugaard (Hunding) war darstellerisch vielleicht der beste Sänger des Abends und besitzt ein modulationsfähiges Organ. Trine Møller brachte als Brünnhilde eine ungewöhnlich jugendliche Erscheinung auf die Bühne, spielte mit Hingabe und hat einen geradlinigen Stimmklang ohne jegliche Verschleißerscheinungen. Ihre Stimme ist nicht riesengroß, dafür aber ausgeglichen, mit leicht ansprechendem Ansatz und einer makellosen Höhe und befand sich stets in guter Balance mit dem Orchester. Die Leistungen all dieser Sänger allein schon lohnen den Besuch dieser Produktion. Was die Aufführung allerdings zu einem exzeptionellen Erlebnis werden ließ, war Tomasz Koniecznys Wotan. Bei ihm handelt es sich um eine musikalische Idealbesetzung für diese Rolle und einen Sänger auf dem Höhepunkt seiner stimmlichen Möglichkeiten. Konieczny ist ein Meister der klanglichen Nuancierung und hat eine ungemein abwechslungsreiche Technik, die ihm sowohl erlaubt, extrem deutlich zu deklamieren, also fast schon zu sprechen, als auch mit Hilfe der klingenden Schlußkonsonanten als Bindemittel lange melodische Linien herzustellen, die vor allem am Schluß der Walküre gefordert sind. Vom gerade noch hörbaren Hauchen bis zu voluminösen Tönen, die keine dynamische Obergrenze zu kennen scheinen, steht ihm eine Palette von Klängen zu Verfügung, die ich in dieser Variationsbreite noch bei keinem Sänger dieser Partie gehört habe. Allein auf einem einzigen Ton und Vokal gelingt es ihm, schnell nacheinander verschiedene Obertonspektren zu erzeugen, was seinen Part ungewöhnlich sprechnah und damit gut verständlich und zugleich musikalisch interessant und ausdrucksvoll werden läßt.
Fazit
Diese Produktion dürfte jeden Wagnerfreund beglücken, sowohl in ihrer respektvollen, ernsthaften Regie als auch von den musikalischen Leistungen her. Ein kraftvolles, aber immer kultiviert spielendes Orchester begleitet Sänger, die ihren Text nicht nur gut aussprechen, sondern ihn auch facettenreich verkörpern. Und wer das noch nicht getan hat, muß Tomasz Konieczny schlicht und ergreifend einmal gehört haben. Für den Wotan in der Walküre dürfte es derzeit keinen besseren Sänger geben. Gekrönt wird der Abend von einem Feuerzauber, der seinem Namen gerecht wird.
Dr. Martin Knust
Bild: Camilla Winther
Das Bild zeigt Cecilia Lund Tomter (Gerhilde), Cecilia Hjortsberg (Ortlinde), Johanne Højlund (Waltraute), Anna Danik (Schwertleite), Valda Wilson (Helmwige), Frida Lund-Larsen (Siegrune) sowie Statisten.