Das Rheingold – Berlin, Staatsoper Unter den Linden

von Richard Wagner (1813-1883), Vorabend in vier Szenen zu dem Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen, Libretto: Richard Wagner

UA: 22. September 1869 München, Königliches Hof- und Nationaltheater

Regie, Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov, Kostüme: Elena Zaytseva, Licht: Gleb Filshtinsky, Video: Alexey Poluboyarinov, Dramaturgie: Tatiana Werestchagina und Christoph Lang

Dirigent: Christian Thielemann, Staatskapelle Berlin

Solisten: Johannes Martin Kränzle (Alberich), Michael Volle (Wotan), Claudia Mahnke (Fricka), Evelin Novak (Woglinde), Natalia Skrycka (Wellgunde), Anna Lapkovskaja (Floßhilde), Lauri Vasar (Donner), Siyabonga Maqungo (Froh), Rolando Villazón (Loge), Stephan Rügamer (Mime), Mika Kares (Fasolt), Peter Rose (Fafner), Vida Miknevičiūtė (Freia), Anna Kissjudit (Erda)

Besuchte Aufführung: 2. Oktober 2022 (Premiere)

Kurzinhalt

Wotan hat den Riesen Fasolt und Fafner die Göttin Freia als Lohn für den Bau der Götterburg versprochen. Da die Götter jedoch von Freias Äpfeln essen müssen, um ihre ewige Jugend zu behalten, versucht er mit ihnen zu verhandeln. Dabei hilft ihm Loge, der berichtet, daß der Nibelung Alberich aus dem Rheingold einen Ring geschmiedet habe, der ihm unermeßliche Macht verleiht, indem er die Liebe verflucht habe. Diese Macht nutze er nun, um sein Volk zu knechten, das ihm Schätze schürfen und schmieden müsse. Die Riesen willigen ein, Freia gegen den Schatz des Nibelungen zu tauschen, und Loge und Wotan begeben sich nach Nibelheim, wo sie Zeuge von Alberichs Schreckensherrschaft werden, der ihnen seinen Plan enthüllt, sich mit dem Nibelungengold die Welt zu unterwerfen. Loge gelingt es durch eine List, Alberich zu fesseln. Gemeinsam mit Wotan zwingt er ihn, ihnen seinen Schatz, seinen Tarnhelm und den Ring auszuhändigen. Dafür belegt Alberich den Ring mit einem Fluch, der seinem Träger den Tod bringen soll. Die Riesen bestehen auf der Übergabe des gesamten Schatzes mit dem Ring, den Wotan nicht herzugeben bereit ist. Erst nachdem die Göttin Erda ihn vor dem Ring warnt und das Ende der Götter prophezeit, wird der Tausch vollzogen. Fafner erschlägt seinen Bruder Fasolt, um an den Ring zu kommen, und die Götter ziehen in ihre Burg ein, die von Wotan den Namen Walhall erhält.

Aufführung

Das Ambiente und die Erzählung, die präsentiert werden, weichen erheblich von der Wagnerschen Vorlage ab. Wir befinden uns in einer Anstalt, in der mit Menschen- und Tierversuchen Verhaltensforschung betrieben wird. Kostüme und Architektur erinnern an die Sowjetunion der 1970er Jahre. Der Alberich der ersten Szene befindet sich in einem neuronalen Streßtest und wird von drei Wissenschaftlerinnen (?) verhöhnt. Das Experiment geht schief, und der Proband stürmt aus dem Versuchslabor, nachdem er es gründlich verwüstet hat. Die Götter treten als Verwaltung – oder Eigentümer? – dieses Instituts auf, das am Ende mit ein paar Taschenspielertricks Donners und Frohs festlich eingeweiht wird. Zuvor begeben sich Wotan und Loge in die Katakomben des Gebäudes, wo ein mit einem Knüppel bewaffneter und psychisch gestörter technischer Leiter seine Untergebenen tyrannisiert. Es ist unklar, ob er mit der Versuchsperson vom Anfang des Stückes identisch sein soll. Sowohl Ring als auch Tarnhelm besitzen anscheinend nur für ihn magische Fähigkeiten. Jedenfalls gehorchen die Nibelungen nicht seinem gebieterisch erhobenen Ring, sondern fürchten schlicht seine Schläge. Das Bühnenbild wird durch Verschiebung zumeist nach links seitwärts, aber auch nach oben und unten verändert. Man befindet sich ständig in geschlossenen Räumen – u.a. ein Vorlesungsaal, Wotans Büro, eine Werkstatt im Keller – und Korridoren. Es gibt keine offenen Landschaften oder freien Blicke. An der Wand des Repräsentationssaales hängen Konterfeis von Wagner, Beethoven und Darwin (?). Neben den singenden Figuren gibt es etliche Komparsen, die Mitarbeiter und technisches Personal des Instituts darstellen.

Sänger und Orchester

Musikalisch blieben – im Gegensatz zur Inszenierung – an diesem Abend keine Fragen offen. Mit Christian Thielemann hat man einen anerkannten Experten für Wagners Musik verpflichtet, der die Staatskapelle Berlin souverän leitete. Balance und Klang in den jeweiligen Registern des Orchesters waren perfektionistisch durchgestaltet. Starke Akzente wurden überaus deutlich gesetzt und die dynamische Bandbreite war enorm. Was die Sänger angeht, richtete sich das Tempo weitestgehend nach ihren Bedürfnissen. Generell hat Thielemann jedoch die Tendenz, an den Phrasenenden das Tempo, das er ohnehin gerne etwas breiter nimmt, noch etwas mehr zu retardieren. Punktuell schienen die Sänger des Mime und Alberich in ihren Sprechgesangspassagen hier nicht ganz mithalten zu können und kamen ins Schwimmen. Die eher breiten Tempi gestatten allerdings sowohl Sängern als auch dem Orchester, das Farbspektrum der Wagnerschen Harmonien zum Leuchten zu bringen.

Die sängerischen Leistungen waren an diesem Abend durch eine geglückte Kombination aus deutlicher Sprachbehandlung, die sich vor allem auf das Absprechen von Anfangs- und Schlußkonsonanten konzentrierte, und langausgehaltenen Tönen gekennzeichnet. Darüberhinaus hatten die Darsteller – wie es übrigens auch zu Wagners Zeiten gemacht wurde – laut zu stöhnen, schreien oder die Stimme brechen zu lassen.

Johannes Martin Kränzle (Alberich) beherrscht diese Art des expressiven Sprechgesangs und war auch darstellerisch überragend. Sein Spiel ließ die innere Zerstörtheit dieser Figur zum Vorschein kommen. Michael Volle (Wotan) hat einen reifen, klanglich abwechslungsreichen Heldenbariton und spielte seine Rolle recht beweglich. Claudia Mahnkes Stimme ist ein wenig scharf und paßte damit gut zu ihrer Rolle als Fricka, die Wotans Selbstzufriedenheit in Frage stellt. Die Stimmen der drei Rheintöchter (Evelin Novak als Woglinde, Natalia Skrycka als Wellgunde und Anna Lapkovskaja als Floßhilde) sind vom Timbre her sehr unterschiedlich, ergänzten sich aber wunderbar in den Ensemblepassagen; sie schmolzen außerdem sich gut in den Orchesterklang ein. Lauri Vasar (Donner) wirkte darstellerisch ein wenig nervös und hat keine sonderlich volltönende Stimme, während Siyabonga Maqungo einen schauspielerisch und musikalisch ausgeglichenen, in sich ruhenden Froh gab. Stephan Rügamer (Mime) stand darstellerisch seinem psychotischen Bruder Alberich in nichts nach und sprach deutlich aus. Letzteres gilt auch für Peter Rose (Fafner), der allerdings von Mika Kares (Fasolt) in den Schatten gestellt wurde. Dieser verfügt über eine imponierende Bühnenerscheinung und eine wirklich sonore Stimme. Anett Fritsch in der kurzen Partie der Freia, brachte die psychischen Qualen, die ihre Figur auszustehen hat, zum Ausdruck. Anna Kissjudit (Erda) erhebt als eine Mitarbeiterin (?) des Instituts während der abschließenden Sitzung ihre wohlklingende Stimme, hatte aber im übrigen keinen sonderlich spektakulären Auftritt.

Sämtliche bisher aufgezählte Sänger heimsten für ihre Leistungen wohlverdienten Applaus ein. Einzig an der wohl überraschendsten Besetzung dieser Produktion, an Rolando Villazón als Loge, schieden sich die Geister. Das kann mehrere mögliche Ursachen haben. Sowohl klanglich als auch von seiner Körpersprache her sticht er aus dem Ensemble heraus, was dramaturgisch durchaus Sinn ergibt. Im Gegensatz zu den anderen Figuren taktiert er zum einen seine Partie, d.h. er gestikuliert lebhaft und stereotyp genau im Takt mit seinen Einsätzen und Melodieverläufen und gerät damit fast zu einer Karikatur eines Operntenors. Zum anderen klingt seine Stimme recht verschleiert. An seiner Aussprache, die bei dieser Sprechgesangspartie entscheidend ist, gibt es nichts auszusetzen, und rhythmisch saßen seine Einsätze, auch wenn er von allen Sängern am stärksten am Dirigenten hing und damit recht statisch nach vorn spielte. Auf die Buhrufe, die ihm nach dem Ende der Aufführung galten, reagierte er mit trotzigem Humor.

Fazit

Dies war der vielversprechende Auftakt eines höchst ehrgeizigen Projekts: Innerhalb von nur einer Woche werden sämtliche Teile der neuen Ring-Inszenierung an der Berliner Staatsoper Premiere haben. Die musikalische Qualität war erstklassig wie die darstellerischen Leistungen größtenteils auch. Die Einheitlichkeit der Bilder und die lineare Erzählstruktur dieser Inszenierung lassen ein geschlossenes Regiekonzept erwarten, auch wenn, wie bemerkt, die Handlung sich bislang noch nicht lückenlos in allen Einzelheiten erschließt. Ob dieses Konzept über die gesamte Tetralogie hinweg tragen wird und diese Unklarheiten womöglich noch beseitigt werden, bleibt indessen abzuwarten.

Dr. Martin Knust

Bild: Monika Rittershaus

Das Bild zeigt: Peter Rose (Fafner), Mika Kares (Fasolt), Lauri Vasar (Donner), Rolando Villazón (Loge), Siyabonga Maqungo (Froh), Claudia Mahnke (Fricka), Michael Volle (Wotan)

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