Die Walküre – Berlin, Staatsoper Unter den Linden

von Richard Wagner (1813-1883), erster Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen, Text vom Komponisten, UA: 1870 München

Inszenierung und Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov, Kostüme: Elena Zaytseva, Licht: Gleb Filshtinsky, Video: Alexey Poluboyarinov, Dramaturgie: Tatiana Werestchagina und Christoph Lang

Dirigent: Christian Thielemann, Staatskapelle Berlin

Solisten: Robert Watson (Siegmund), Mika Kares (Hunding), Michael Volle (Wotan), Vida Miknevičiūtė (Sieglinde), Claudia Mahnke (Fricka), Anja Kampe (Brünnhilde), u.v.a.

Besuchte Aufführung: 3. Oktober 2022 (Premiere)

Kurzinhalt

Sieglinde findet in ihrer Hütte einen fremden Mann vor, der sich auf der Flucht befindet. Er stellt sich ihr und ihrem Mann Hunding als Wehwalt vor. Bei der Erzählung seiner Flucht kommt heraus, daß er ein Feind von Hundings Sippe ist. Hunding gewährt ihm Asyl für eine Nacht und kündigt an, ihm am nächsten Tag nachzusetzen. Alle begeben sich zur Ruhe. Sieglinde, die ihren Gatten betäubt hat, erscheint. Siegmund offenbart ihr seine wahre Identität und zieht das Schwert Nothung aus dem Stamm einer Esche, die in der Hütte steht. Beide entdecken, daß sie Zwillingsgeschwister sind und verlieben sich ineinander. Daraufhin stellt Fricka, die Schutzgöttin der Ehe, ihren Gatten Wotan zur Rede. Siegmund und Sieglinde sind seine außerehelichen Kinder, ebenso wie die Walküre Brünnhilde. Die Walküren haben gefallene Helden nach Walhall zu bringen, die die Götterburg vor einem Angriff Alberichs verteidigen sollen. Siegmund soll den Ring des Nibelungen an sich bringen. Doch, wie Fricka Wotan darlegt, wäre das ein Verstoß gegen seine eigenen Gesetze. Wotan befiehlt Brünnhilde daher, Siegmund im Kampf mit Hunding sterben zu lassen. Sie erscheint Siegmund und verkündet ihm seinen baldigen Tod. Von Schmerz überwältigt droht er damit, sich und seine ohnmächtige Zwillingsschwester zu töten. Brünnhilde empfindet Mitgefühl und setzt sich über Wotans Befehl hinweg, der selbst in den Kampf eingreift und Hunding den Sieg davontragen läßt. Unterdessen sammeln sich die Walküren, um nach Walhall zu ziehen. Brünnhilde bittet sie um Hilfe für Sieglinde, die von Siegmund ein Kind erwartet, doch vergebens. Sieglinde flieht allein in den Wald und Brünnhilde erwartet ihren zornigen Vater, der sie aus Walhall verstößt. Er versenkt sie in Schlaf und schließt einen Kreis aus Feuer um ihren Felsen, der nur von demjenigen, der seinen Speer nicht fürchtet, durchbrochen werden kann.

Aufführung

Die Kostüme entsprechen gegenwärtigen Standards, d.h. verglichen mit dem vorangegangenen Rheingold befinden wir uns in einer späteren Epoche. Das Bühnenbild im ersten Aufzug zeigt Wotans Büro mit Blick auf die Wohnung Hundings. Hunding ist ein Wachmann, der von der Arbeit nach Hause kommt und sich von Sieglinde das Abendessen servieren läßt, das er ungerührt verzehrt, während Siegmund von seiner Flucht berichtet. Es handelt sich bei Siegmund um einen entflohenen Sträfling mit psychischen Problemen. In Hundings Wohnung findet auch die Auseinandersetzung zwischen Fricka und Wotan sowie Wotans langer Monolog statt. Die beiden Wälsungen fliehen in die Katakomben von Wotans Versuchsanstalt, wo sie sich in einer Werkstatt verstecken. Siegmund wird nicht getötet, sondern von Polizisten in Krawalluniform während des instrumentalen Nachspiels abgeführt. Der letzte Aufzug findet im Vorlesungssaal des Instituts statt. Die Walküren sehen sich während der ersten Szene auf einer Leinwand Psychogramme von Versuchspersonen (oder Insassen der Anstalt?) an. Wie schon im vorangegangenen Rheingold werden spektakuläre Effekte bewußt vermieden bzw. Erwartungen der Zuschauer absichtlich enttäuscht. Der Kampf zwischen Hunding und Siegmund fällt aus und der Feuerzauber findet nicht wirklich statt, sondern Brünnhilde stellt sich in einen Stuhlkreis und malt mit einem Stift ein paar Flammen auf die Möbel. Es gibt kleine, humoristische Einschläge im darstellerischen Spiel, etwa, wenn Wotan sich zornig versucht, eine Zigarette anzuzünden oder Hunding sich mit sichtbar schwerem Kopf im zweiten Aufzug aus dem Bett schält.

Sänger und Orchester

Wieder einmal steht das erstklassig aufspielende Orchester unter der Leitung Christian Thielemanns im Zentrum des musikalischen Geschehens. Die instrumentatorischen Finessen der Partitur werden schön herausarbeitet – etwa in Wotans Monolog, den kurzen, das stumme Spiel der Zwillingsgeschwister untermalenden Orchesterepisoden und nicht zuletzt dem bekannten Walkürenritt –, das Tempo wird wie gewohnt eher zurückgenommen, was die Sänger mitunter zu Tondehnungen nach Art einer Fermate nötigt, und sehr flexibel gestaltet. Die schwächste sängerische Leistung dieses Abends erbrachte Robert Watson (Siegmund), der allerdings auch einen unkonventionellen, sich linkisch und ängstlich über die Bühne bewegenden Siegmund zu geben hat. Seine Stimme hat ein baritonales Timbre und klingt nicht strahlend und klar. Das passte zwar zu dem Charakter, den er zu geben hatte, wurde aber vom Publikum nicht honoriert. Hinzu kommen eine etwas undeutliche Aussprache und leichte rhythmische Unsicherheiten. Vida Miknevičiūtė beeindruckte als Sieglinde mit einer kräftigen Stimme, guter Aussprache und höchst engagiertem darstellerischen Spiel. Die Regie verlangt ihr einiges ab. Sie hat mehrfach zu kollabieren, panisch zu zittern und zu schlafwandeln. Dabei atmet sie etwas zu häufig keuchend ein. Mika Kares sang ordentlich und gab einen eiskalten, brutalen Hunding. Er verfügt über eine sehr deutliche Mimik. Claudia Mahnke (Fricka) sang und spielte ihre Rolle grundsolide. Zwar ist ihre Stimme etwas spröde, doch behält sie stets die Kontrolle über ihre Tongebung. Es bleiben die beiden längsten und schwersten Partien der Walküre: Michael Volle (Wotan) agiert wirklich lebhaft und abwechslungsreich. Er hat viele stumme Gesten und untermalte seinen langen Monolog mit natürlich anmutenden, schön nuancierten Gebärden. Sein Vortrag hat eine immense klangliche Bandbreite. Er verfügt über sprecherische wie auch rauhe Töne, kräftige, fast schon tenorale Spitzentöne, ein voluminöses Mittelregister und eine makellose Aussprache. Leider zeigten sich aber bei ihm wie auch bei Anja Kampe (Brünnhilde) vor allem in der letzten Szene Unsicherheiten im Text. Die Sängerin der Titelpartie hat wie der Sänger des Siegmund von der Regie eine nicht sonderlich dankbare Aufgabe zugewiesen bekommen. Ihr Outfit ist nicht sehr elegant und sie bekam keine Gelegenheit, ihre Rolle individuelle Züge zu verleihen, weder in der Todesverkündigung noch bei Wotans Abschied. Ihre Brünnhilde ist eine nette Person, blieb jedoch etwas blaß und das, obwohl ihre Körpersprache bisweilen abrupt umschlägt. So trat sie mit altertümlich anmutenden, weiten Armbewegungen im zweiten Aufzug auf, stand dann aber im weiteren Verlauf phasenweise ein wenig teilnahmslos auf der Bühne.

Fazit

Die musikalische Entdeckungsreise in die Welt der Wagner’schen Klänge nahm an diesem Abend ihren geglückten Fortgang. Der Reichtum artikulatorischer und dynamischer Nuancen ließ eine Fülle von Details zutage treten. Die Inszenierung bietet packende, aber auch enttäuschende und nicht ganz logische Momente. Warum fängt Wotan im dritten Aufzug beispielsweise wieder Sieglinde ein und wieso und wohin verschwindet sie danach? Das Spiel der Akteure ist physisch intensiv, aber nicht ganz frei von Stereotypen. So haben Wotan und Hunding bei ihren Zornesausbrüchen stets Möbel umzuwerfen und Gegenstände von den Tischen zu fegen, wohingegen die weiblichen Charaktere – mit Ausnahme Sieglindes – eher passiv und zurückhaltend, vielleicht sogar ein wenig ironisierend agieren. Die Verknüpfung mit der abgewandelten Handlung des Rheingold ist ein wenig lose. Doch werden die beiden verbleibenden Teile hier möglicherweise etwas mehr Klarheit bringen.

Dr. Martin Knust

Bild: Monika Rittershaus

Das Bild zeigt: Robert Watson (Siegmund), Vida Miknevičiūtė (Sieglinde)

Veröffentlicht unter Aktuelles, Featured