Arabella – Berlin, Deutsche Oper

von Richard Strauss (1864-1949), Lyrische Komödie in drei Aufzügen, Libretto von Hugo von Hofmannsthal, UA: 1. Juli 1933 Dresden

Regie: Tobias Kratzer, Bühnenbild und Kostüme: Rainer Sellmaier, Choreographie: Jeroen Verbruggen, Licht: Stefan Woinke, Video: Jonas Dahl und Manual Braun, Dramaturgie: Bettina Bartz

Dirigent: Sir Donald Runnicles, Orchester der Deutschen Oper Berlin

Chor der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: Jeremy Bines

Solisten: Albert Pesendorfer (Graf Waldner), Doris Soffel (Adelaide), Sara Jakubiak (Arabella), Elena Tsallagova (Zdenka), Russell Braun (Mandryka), Robert Watson (Matteo), Thomas Blondelle (Graf Elemer), Hye-Young Moon (Fiakermilli) u.v.a.

Besuchte Aufführung: 18. März 2023 (Premiere)

Kurzinhalt

Die Familie von Graf Waldner, der sein Vermögen beim Kartenspielen durchgebracht hat, wohnt in einem Hotel in Wien. Es ist Faschingsdienstag und seine Tochter Arabella hat drei Grafen als Verehrer, deren Geld die Familie Waldner im Falle einer Heirat retten wird. Sie soll sich vor dem Aschermittwoch für einen von ihnen entscheiden. Außerdem macht ihr noch der Leutnant Matteo, in den ihre Schwester Zdenka heimlich verliebt ist, den Hof. Allerdings muß Zdenka ihre Identität als Frau geheimhalten und trägt stets Männerkleider, da der Familie das Geld, fehlt, um zwei Töchter standesgemäß einzukleiden. Die Situation wird noch verwickelter, als der ungarische Graf Mandryka erscheint, der mit seinem Geld um sich wirft und Graf Waldner um die Hand seiner Tochter Arabella bittet, die sich von allen ihren Verehrern am meisten für ihn interessiert. Nach ihrem ersten Gespräch mit ihm verloben beide sich, doch bittet Arabella darum, diesen letzten Tag ihrer Mädchenzeit noch für sich verbringen zu dürfen und tanzt einen letzten Tanz mit den drei Grafen, die ihr die Aufwartung gemacht haben. Matteo ignoriert sie geflissentlich, dem Zdenka heimlich einen Schlüssel zusteckt mit den Worten, Arabella würde in ihrem Zimmer auf ihn warten. Mandryka hat die beiden belauscht und ist rasend vor Wut. Auf dem dunklen Hotelzimmer verbringen Zdenka und Matteo eine Liebesnacht miteinander. Matteo ist der Überzeugung, er sei mit Arabella zusammen gewesen, und verwirrt, als er sie anschließend im Foyer trifft und sie ihn so abweisend behandelt wie immer. Er verlangt eine Erklärung von ihr, als Mandryka und Arabellas Eltern eintreten, die die Ehre der Familie in Gefahr sehen. Mandryka fordert Matteo zum Duell, als Zdenka das Rätsel auflöst und sich als Frau zu erkennen gibt. Graf Waldner erlaubt Matteo und Zdenka, sich miteinander zu verloben. Arabella und Mandryka bleiben zurück. Er schämt sich dafür, sie verdächtigt zu haben, und sie verlässt verletzt die Szene. Nach einer kurzen Pause kehrt sie zurück und gibt ihm zu verstehen, daß sie ihn dennoch heiraten werde.

Aufführung

Die szenische Seite der Produktion hält ein paar Überraschungen parat. Der komplette erste Aufzug und auch der Beginn des zweiten ist nach Art eines Kostümdramas gestaltet, d.h. Requisiten, Kostüm und Bühnenbild entsprechen mit ihren vielen Details exakt dem Schauplatz und der Zeit der Handlung. Wir befinden uns hier in einem mondänen Wiener Hotel der 1860er Jahre. Im ersten Aufzug ist die Bühne zweigeteilt, d.h. man sieht oft zwei Räume gleichzeitig oder eine Seite wird zum Umbau mit einer großen Leinwand verhüllt, auf die Nahaufnahmen der Sänger und Zimmer projiziert werden. Mehrere Kamerafrauen mit Handkameras befinden sich während des Aufzugs auf der Szene. Im zweiten Aufzug ist das Bühnenbild schlichter und nicht mehr zweigeteilt: Man sieht eine Art Vorhalle zum Ballsaal, in der sich die Dialoge abspielen. Ungefähr in der Mitte des Aufzugs, als Mandryka sich von einem leidenschaftlichen Freier in einen eifersüchtigen Tyrannen verwandelt, beginnt eine Zeitreise, die uns von den 1860ern bis in die Gegenwart führt. Sie wird durch die Kostüme und Accessoires symbolisiert: Bei Mandrykas Zornesausbruch marschiert ein Schlägertrupp der SA über die Szene, nachdem die Kostüme und die Tänze, die zu sehen sind, den 20er Jahren entsprochen haben. Danach treten Sänger, Statisten und Tänzer im Stil der Nachkriegszeit gekleidet auf und am Ende des zweiten Aufzugs befinden wir uns in der Gegenwart. Das Bühnenbild des dritten Aufzugs ist gänzlich abstrakt: Die Szene ist bis auf eine große Leinwand, auf der u.a. das Liebespaar Zdenka/Matteo und ein Pistolenduell zwischen Matteo und Mandryka zu sehen sind, komplett dunkel. Die Personenregie folgt im wesentlichen den Vorgaben des Librettos. Es gibt darüberhinaus in den beiden letzten Aufzügen Komparsen, Tänzer und Choristen – der Chor hat in dieser Oper nur kurze Einwürfe zu singen –, die pantomimische Aktionen ausführen, von denen ein paar vielleicht etwas zu überdeutlich sind.

Sänger und Orchester

Sir Donald Runnicles leitete das Orchester der Deutschen Oper zurückhaltend, so wie man es von ihm gewohnt ist. D.h. den Sängern wird zumeist der Vorrang eingeräumt. Die Partitur hat rhythmisch ihre Tücken und wurde ordentlich, jedoch ohne Überschwang, gespielt. Diese nüchterne Interpretation gefiel im Publikum nicht allen. Zu Beginn des ersten Aufzugs ist außerdem das Tempo recht hoch, was die Textverständlichkeit beeinträchtigt. Die sängerischen Leistungen waren musikalisch ohne Fehl und Tadel, doch könnte man stellenweise die Deklamation noch etwas verbessern. Diese Einschränkung gilt nicht für Albert Pesendorfer (Graf Waldner), der stimmlich und von seiner großen Statur und etwas steifen Erscheinung her seine Rolle angemessen auszufüllen vermochte.  Doris Soffel (Adelaide) hat eine reife Stimme, sang ebenfalls gut verständlich und ist eine souveräne Darstellerin. Das ist auch Sara Jakubiak (Arabella), vor deren Leistung man den Hut ziehen muß. Wäre man nicht vorab darüber informiert worden, daß sie mit nur wenigen Tagen Vorlaufzeit für eine erkrankte Kollegin eingesprungen ist, hätte man sie für die Stammbesetzung dieser Inszenierung gehalten. Ihr sehr dunkler, klanglich ausgewogener Sopran, ihr ruhiges, sicheres dramatisches Spiel und die einfühlsame psychologische Gestaltung ihrer Figur, die während der Handlung einen Reifungsprozeß durchlebt, trugen zu einer rundum gelungenen Interpretation der Titelrolle bei. Ihr gelang es, im Gegensatz zu den kleineren Rollen, sich stets gegen das Orchester zu behaupten und lediglich in den höchsten Passagen machte sich bei ihr eine leichte Anstrengung bemerkbar. Elena Tsallagova (Zdenka) spielte und sang mit viel Leidenschaft und Beweglichkeit, was zu ein paar herausstechenden Spitzentönen führte. Das Leiden an ihrer Doppelidentität stellte sie auf der Szene und in den Filmsequenzen ergreifend heraus. Russell Braun (Mandryka) spielte seine Partie engagiert, hat eine ausgeglichene Stimme, könnte aber, wie auch Robert Watson (Matteo), noch etwas an der Gestaltung der deutschen Vokale arbeiten. Watson agierte in den ersten beiden Aufzügen darstellerisch etwas aufgesetzt, vermochte aber im dritten seinem Charakter realistische Züge zu geben. Thomas Blondelle (Graf Elemer) hat einen hell strahlenden Tenor, bewegt sich elegant über die Szene und spricht gut aus. Ihre halsbrecherischen Koloraturen gestaltete Hye-Young Moon (Fiakermilli) so gut es eben geht. Hier verlangt die Partitur in karikierender Absicht mehr, als menschenmöglich ist.

Fazit

Man kann sich von dieser in jeder Hinsicht lohnenden Inszenierung demnächst daheim ein Bild machen; die Premiere wurde gefilmt und wird als DVD erscheinen. Diese Produktion, die das letzte Werk von Hofmannsthal und Strauss von mehreren Seiten gleichzeitig beleuchtet, bringt durch die in ihr vollzogene Zeitreise vor allem zwei Aspekte auf die Bühne: Zum einen die Entwicklung der Hauptfigur von einer in den engen Konventionen des 19. Jahrhunderts gefangenen Dame zu einer ihrer selbst bewußten, unabhängigen, modernen Frau. Und zum anderen die eigenartige Stellung dieses Werkes in der Musikgeschichte, das zwar nostalgisch in das viktorianische Zeitalter zurückblickt, aber auch die Abgründe, Brüche und Aufbrüche seiner Entstehungszeit in sich trägt. Diese Inszenierung nimmt ihre Rollen und ihre vielfältigen inneren Konflikte ernst, ohne jeden Vorbehalt. Es wird dabei schön musiziert, wenn auch, wie erwähnt, ohne spätromantischen Klangrausch. Statt dessen werden die eckigen, modernistischen und ironischen Momente der Partitur herausgestellt. Einem kleinen Teil des Publikums paßte das nicht. Die überwiegende Mehrheit war aber mit dieser Produktion rundum zufrieden, die sich mit drei Attributen umreißen läßt: dramaturgisch gelungen, abwechslungsreich und intelligent.

Dr. Martin Knust

Bild: Thomas Aurin

Das Bild zeigt: Doris Soffel (Adelaide), Russell Braun (Mandryka), Sara Jakubiak (Arabella),

Albert Pesendorfer (Graf Waldner), Elena Tsallagova (Zdenka)

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