Il trittico – Saarländisches Staatstheater, Großes Haus

von Giacomo Puccini (1858-1924), Opernzyklus bestehend aus drei Einaktern: Il tabarro (Libretto: Giuseppe Adami), Suor Angelica und Gianni Schicchi (Libretti: Giovacchino Forzano), UA: 14. Dezember 1918, Metropolitan Opera, New York

Inszenierung: Wolfgang Nägele, Bühnenbild: Lina Däßler, Kostüme: Irina Spreckelmeyer, Licht: Susanne Reinhardt, Dramaturgie: Benjamin Wäntig

Dirigent: Sébastien Rouland, Saarländisches Staatsorchester

Opern- und Kinderchor des Saarländischen Staatstheaters, Einstudierung: Jaume Miranda

Solisten: Peter Schöne (Michele; Gianni Schicchi), Ingegjerd Bagøien Moe (Giorgetta), Angelos Samartzis (Luigi), Clara-Sophie Bertram (la frugola; la suora infermiera), Suor Angelica (Valda Wilson), Doris Lamprecht (la zia principessa; Zita), Barbara Brückner (la badessa), Liudmilla Lokaichuck (Lauretta; una amanta), Jon Jurgens (Rinuccio; un amanto), Stefan Röttig (il talpa; Betto di Signa) u.v.a.

Besuchte Aufführung: 7. Oktober 2023 (Premiere)

Kurzinhalt

In seinem Opernzyklus Il trittico (das Triptychon) kombiniert Puccini drei vollkommen unterschiedliche und voneinander unabhängige Stücke miteinander: ein tragisches, veristisches Sozialdrama, eine Art lyrischer Legende und eine Komödie.

  1. Il tabarroDer Mantel spielt in Paris um 1910.
    Michele, ein älterer Schiffer auf der Seine, und seine jüngere Frau Giorgetta leben auf einem Boot. Ihr Leben     ist wie das aller anderen Akteure von bitterer Armut geprägt, und vor einem Jahr haben sie ihr gemeinsames Kind verloren. Giorgetta hat einen heimlichen Liebhaber, den Lastenträger Luigi, der unter der Situation leidet und sich mit dem Gedanken trägt, sie zu verlassen. In Michele wächst ein schlimmer Verdacht. Er bewacht Giorgetta nachts, als sie sich unter Deck zurückgezogen hat, fängt Luigi ab, tötet ihn und verbirgt seine Leiche unter einem großen Mantel. Giorgetta kommt unruhig an Deck und Michele bittet sie, zu ihm unter seinen Mantel zu kommen. Als sie ihren toten Liebhaber sieht, bricht sie schreiend zusammen.
  1. Suor AngelicaSchwester Angelica spielt in einem italienischen Kloster Ende des 17. Jahrhunderts.
    Die Ordensschwestern führen ein karges Leben unter der strengen Kontrolle der Äbtissin, die auch kleine Störungen der Ordnung bestraft. Angelica ist bekannt für ihre Heilkunst und lebt seit sieben Jahren im Kloster. Sie hat ein dunkles Geheimnis. Die prächtige Kutsche ihrer Tante, der Fürstin, fährt vor. Beide sprechen unter vier Augen miteinander. Die Fürstin, der Vormund Angelicas und ihrer Schwester, teilt ihr mit, daß ihre Schwester zu heiraten gedenke und Angelica ihr deswegen ihren gesamten Besitz zu übertragen habe. Angelica bittet sie um kurze Nachricht über ihren unehelichen Sohn, der ihr nach der Geburt vor sieben Jahren fortgenommen wurde und von dem sie seitdem nichts gehört hat. Ihre Tante berichtet ihr knapp, er sei vor zwei Jahren gestorben und entfernt sich. Nach einem Moment der Verzweiflung faßt Angelica einen Beschluß: Sie nimmt eine tödliche Kräutermischung zu sich, um sich im Tod mit ihrem Kind zu vereinen. Als das Gift zu wirken beginnt, wird ihr mit Schrecken klar, daß sie als Selbstmörderin nie in den Himmel kommen wird. Sie betet zur Gottesmutter, ihr ihre Todsünde zu verzeihen, die ihr Gebet erhört. Angelica stirbt, während ein Engelschor singt.
  2. Gianni Schicchi spielt in Florenz im Jahre 1299.
    Buoso Donato ist gerade verstorben und seine habgierige Verwandtschaft durchsucht sein Haus, um sein Testament zu finden. Als es auftaucht, macht sich große Enttäuschung breit, denn der wohlhabende Donato vererbt seinen gesamten Besitz dem örtlichen Mönchskloster. Der verschlagene Gianni Schicchi tritt ein, dessen Tochter Lauretta mit Rinuccio aus Donatos Familie liiert ist und ihn heiraten will. Schicchi, der die Situation schnell überblickt, weigert sich, einzuwilligen, seine Tochter in eine verarmte Familie einheiraten zu lassen. Die Familie bekniet ihn, irgendwie zu helfen, und Schicchi schlägt vor, selber in die Rolle des sterbenden Donato zu schlüpfen und einem Notar dessen letzten Willen zu diktieren. Begeistert willigen alle ein und man ist sich auch schnell einig, wie der Besitz aufgeteilt werden soll, mit Ausnahme des Maultiers und des umfangreichen florentinischen Besitzes Donatos. Da die Zeit jedoch drängt, verspricht Schicchi, eine gute Lösung zu finden und schärft allen ein, nicht von dem Plan abzuweichen, da auf die Fälschung eines Testaments eine drakonische Strafe stehe. Der Notar trifft ein und die Familie heuchelt große Anteilnahme. Schicchi, verkleidet als Donato, verteilt auf dem Sterbebett Geld und Landgüter wunschgemäß unter allen Anwesenden. Als es aber zu dem wichtigsten Teil des Erbes, Donatos Besitz in Florenz und seinem Maultier, kommt, bedenkt er großzügig sich selbst. Zähneknirschend lassen ihn Donatos Verwandte gewähren, bis der Notar gegangen ist, um dann keifend über ihn herzufallen. Schicchi wirft sie aus dem Haus Donatos, das nun sein eigenes geworden ist.

Aufführung

Das Szenenbild ist abstrakt und karg; an den Seiten ist die Bühnenwand zu sehen und nur wenige Elemente – ein Stuckplatte, ein paar Kerzen, Möbel, bewegliche Stahlgeländer und -treppen – kommen zum Einsatz. Allerdings sind es in allen drei Stücken die gleichen Elemente, wodurch – wie auch durch das Auftauchen von den gleichen Figuren in mehreren Stücken – alle drei Einakter bildlich und inhaltlich miteinander in Beziehung treten. Mit der leeren Szenerie kontrastiert das lebendige, psychologisch sehr intensive und genau abgemessene Spiel der Akteure, das in dieser Produktion ganz im Vordergrund steht. Die Kostüme und Einrichtungen der Räume sind nicht historisierend exakt, sondern deuten die jeweiligen Milieus grob lediglich an. Obgleich die drei Opern inhaltlich so gut wie gar nichts miteinander gemeinsam haben, stellt das Bühnenbild durch kleine, pointierte Gesten mitunter überraschende Parallelen und Zusammenhänge zwischen ihnen her.

Sänger und Orchester

Sébastien Rouland leitete das Saarländische Staatsorchester mit sicherer Hand. Die überaus abwechslungsreichen Klanglandschaften traten plastisch auf das Schönste hervor. Die Lautkulisse des Tabarro, bei dem die Geräusche der Großstadt – etwa das Horn der Seine-Schiffe – Teil der farbig kraftvollen Partitur sind und in dem sich die lautesten Klangballungen aller drei Stücke finden, war atmosphärisch dicht, packend und perfekt auf die Stimmen der drei Hauptakteure abgestimmt. Artikulation, dynamische Nuancierung, Klangbalance zwischen Sängern und Orchester – all das gelang makellos.

In Suor Angelica, die gänzlich ohne Männerstimmen auskommt, ist das Klangbild durchlässiger, heller und leichter. Hier stehen die Ensemble- und Chorsätze der Schwestern sowie der abschließende, zwischen Vision und Verzweiflung schwankende Schlußmonolog der Titelfigur im Vordergrund. Rouland wählte die richtigen Tempi und schlug hier lange Spannungsbögen, womit er den Sängerinnen den notwendigen Freiraum für klangliche und sprachliche Feinarbeit verschaffte. Das Orchester tritt hier etwas stärker in den Hintergrund als in den anderen Einaktern.

In Gianni Schicchi geht es schließlich recht temporeich zur Sache, was genaue Phrasierung und akkurate Einsätze erfordert. Orchester und Sänger, die sich hier mit unendlich vielen kleinen Aktionen in nahezu ständiger Bewegung befinden, meisterten das alles ohne erkennbare Probleme. Hervorzuheben ist der runde, ausgewogene Wohlklang des Saarländischen Staatsorchesters, der es ohne weiteres mit dem von Orchestern in größeren Häusern aufzunehmen vermag.

Zu den Leistungen der Sänger und Sängerinnen im einzelnen.

Angesichts der zahlreichen Rollen werde ich mich nur auf die wichtigsten Partien beschränken. Da einige Sänger in zwei Opern auftraten, konnte man auch ihre darstellerische Wandlungsfähigkeit bewundern.

Hier wäre zunächst Peter Schöne zu nennen, der zwei Hauptpartien sang, zum einen den düsteren Michele in Il tabarro, zum anderen die heitere Titelpartie in Gianni Schicchi. Er hat zwar keinen Heldenbariton, weiß aber mit seinen stimmlichen Ressourcen geschickt und abwechslungsreich umzugehen. Der darstellerische Kontrast, den er zu überbrücken hat, könnte größer nicht sein. Am stärksten wirkte er in den melancholischen Momenten, in denen Michele verzweifelt versucht, die Liebe seiner Frau wiederzugewinnen.

Ebenso weit auseinander liegen die Rollen, die Doris Lamprecht (la zia principessa; Zita) gab. Bei der Fürstin handelt es sich um eine Contralto-Partie, bei der von Zita um eine Altpartie. Ihre Stimme, deren leichte Sprödigkeit in der Tiefe der Rolle der Fürstin eine interessante charakteristische Note verlieh, ist ausdrucksvoll und ihr Spiel ist das nicht minder. Die eiskalte Fürstin, die mit wenigen Bewegungen ihre unerbittliche Strenge gegenüber ihrer Nichte zum Ausdruck bringt, sowie die Slapstick-Rolle der Zita gelangen ihr direkt nacheinander rundum. Sie ist eine hervorragende Darstellerin ebenso wie die Sängerin der Titelrolle in Suor Angelica, Valda Wilson. Deren stimmliche Kontrolle und schauspielerische Leistung gehörten zu den Höhepunkten des Abends. Erst nach und nach aus den identisch gekleideten Ordensschwestern als Hauptcharakter hervortretend, beherrscht sie das Bühnengeschehen nach einer Weile und zeichnet sich durch einen bis ins Detail durchgearbeiteten Vortrag aus. Damit ist sowohl ihr Gesangsvortrag als auch ihre Verkörperung dieser recht schwierigen Rolle gemeint. Angelica schwankt zwischen Gefühlsextremen, muß aber dabei stehts die Contenance bewahren; d.h. die Sängerin hat sich, bis auf den Schluß, mit kleinen Gesten und mimischen Andeutungen zu begnügen, um ihr aufgewühltes Innenleben nach außen zu kehren. Wenn diese so ergreifend gestaltet werden, wie es Wilson kann, ohne übertrieben oder klischeehaft zu wirken, wird dieser mittlere Einakter, der von allen drei Opern des Trittico am seltensten alleine aufgeführt wird, zum psychologisch abgründigsten und faszinierendsten des Zyklus. Hinzu kommt bei ihr eine perfekte Beherrschung der stimmlichen Anforderungen. Der Ton dieser Rolle darf nicht ins allzu Dramatische verfallen, auch hier sind es die Nuancen und kleinen Andeutungen, die den größten Effekt haben und die Wilson mit einem Gespür für das richtige Maß souverän beherrscht. Ihr leichter Ansatz und ihre eher schlanke Stimme erwiesen sich für diese Partie als ideal.

Die Rolle der Giorgetta im Tabarro, gesungen von Ingegjerd Bagøien Moe, verlangt hingegen größere Expressivität im Spiel und nicht zuletzt im Stimmvolumen. In ihren kurzen Duett-Passagen mit Luigi – oder besser: kurzen Ausbrüchen, die vom vollen Orchestertutti begleitet werden – kam ihre hochdramatische Sopranstimme voll zum Tragen. Diese für Puccinis Stil typischen Abschnitte gestaltete sie gemeinsam mit ihrem Partner und dem Orchester spektakulär ohne an ihre Grenzen zu gehen. Ihr Partner als Luigi war Angelos Samartzis, dessen Tenor genau dem entspricht, was man bei Puccini erwartet: ein voller, hell-dunkler, über alle Register homogener Klang, der sich scheinbar mühelos auch über das stärkste Orchestertutti legt. Das Spiel beider Sänger war intensiv, mitunter kompromißlos physisch. Ihre Stimmen ergänzen sich wunderbar. Auch in Gianni Schicchi gibt es ein paar kurze hochdramatische Einschläge, die ähnlich kraftvoll, aber wesentlich kürzer gehalten sind. Es handelt sich hierbei um das jugendliche Liebespaar Lauretta/Rinuccio, gesungen von Liudmilla Lokaichuck – für ihren Vortrag des Opernhits O mio babbino caro erhielt sie zu Recht Szenenapplaus – und Jon Jurgens. Die Idee, diese beiden Sänger auch die kurzen Rollen der beiden Liebenden in Il tabarro singen zu lassen, schuf eine weitere dramaturgische Klammer zwischen den Einaktern. Beide Sänger haben eine sympathische Bühnenpräsenz und verfügen über hervorragendes Stimmaterial.

Viel wäre noch über die gelungene Gestaltung auch der kleinen Rollen, etwa der tragikomischen namenlosen Charaktere, die Stefan Röttig (il talpa) und Clara-Sophie Bertram (la frugola) in Il tabarro verkörpern, zu sagen, denn diese Inszenierung zeichnet sich, wie deutlich geworden sein dürfte, durch eine große Liebe zum schauspielerischen Detail aus. Alle, auch die kleinsten Nebencharaktere, werden individuell durchgestaltet, so daß sogar bei den uniformierten Ordensschwestern in Suor Angelica keine uniforme Masse, sondern eine Gruppe von vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten entsteht.

Die Fülle von kurzen Aktionen und dramatischen Einfällen in Gianni Schicchi zu beschreiben, würden den Rahmen hier vollends sprengen. Man kann lediglich zusammenfassend sagen, daß in den Ensembleszenen (panto-)mimisch ständig viele kleine Geschichten erzählt werden, daß alle drei an sich disparaten Einakter durch wiederkehrende, an sich unscheinbare Requisiten – etwa wie die Toten-Kerze –, wiederkehrende Charaktere und Sänger in mehreren Rollen geschickt miteinander verbunden werden und dieses exzeptionelle Opern-Triptychon so zu einer stabilen Einheit zusammenführen.

Fazit

Es darf an dieser Stelle bitte keinesfalls abwertend verstanden werden, wenn ich feststellen möchte, daß die atemberaubende Qualität dieser Aufführung für mich überraschend war. Saarbrücken ist zwar ein kleineres Haus als etwa die großen Opern in Berlin oder Dresden. Eine bessere musikalisch-dramatische Umsetzung dieser drei Stücke ist jedoch selbst dort kaum denkbar. Wohl dem Haus, das über ein derart glänzendes und vielseitiges Sänger-Ensemble verfügt und über ein derart gut eingespieltes Orchester, dessen Leiter eine solide Einheit zwischen Sängern und Instrumentalisten herstellte! Weder darstellerisch noch musikalisch wurde trotz dieser so unterschiedlichen Stücke mit ihren konträren Anforderungen irgendeine Schwäche, Unsicherheit oder Undeutlichkeit erkennbar. Die Sänger fühlten sich in ihren Rollen sichtbar wohl, gingen in ihren Charakteren auf und konnten gerade aufgrund der sparsamen, aber nicht effektlos eingerichteten Szene deren Entwicklungen und Innenleben minutiös ausleuchten. Die Regie stellt sich hier in den Dienst der Sache, ja, sie erreicht sogar etwas, das im Original gar nicht so angelegt ist: Die drei Einakter vermögen sich in dieser Interpretation gegenseitig zu kommentieren und inhaltlich zu vertiefen. Das begeisterte nicht nur das Publikum. Nachdem der Schlußapplaus im Saal verklungen war, konnte man hinter dem geschlossenen Vorhang den Applaus der Ausübenden für ihre eigene Leistung hören. Hochverdient waren sie beide.

Dr. Martin Knust

Bild: Martin Kaufhold

Gianni Schicchi: Peter Schöne (Gianni Schicchi) li.; Ensemble re.

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