von Richard Strauss (1864-1949), Musikdrama in einem Aufzug, Libretto vom Komponisten nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung, UA: 9. Dezember 1905, Königlisches Opernhaus Dresden
Regie und Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov, Kostüme: Elena Zaytseva, Licht: Gleb Filshtinsky, Video: Tieni Burkhalter, Dramaturgie: Tatiana Werestchagina und Janina Zell
Dirigent: Kent Nagano, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Solisten: Asmik Grigorian (Salome), John Daszak (Herodes), Violeta Urmana (Herodias), Kyle Ketelsen (Jochanaan), Oleksiy Palchykov (Narraboth), Jana Kurucová (Page), James Kryshak, Florian Panzeri, Daniel Kluge, Andrew Dickinson und Hubert Kowalczyk (fünf Juden), Alexander Roslavets und Nicholas Mogg (zwei Nazarener), u.a.
Besuchte Aufführung: 29. Oktober 2023 (Premiere)
In Palästina unter der Herrschaft des Herodes kündigt sich das Ende der bisherigen Weltordnung an. Jochanaan ist einer der Endzeitpropheten und wird in einem Brunnen gefangen gehalten. Die junge Stieftochter des Herodes, Salome, begehrt ihn zu sehen und verliebt sich in ihn, was den Hauptmann Narraboth, der sie heimlich liebt, in den Selbstmord treibt. Als Salome von Jochanaan wiederholt einen Kuß fordert, wird sie von ihm zurückgewiesen und verflucht. Herodes verlangt von Salome, für ihn zu tanzen und schwört einen Eid, ihr dafür zu geben, was auch immer sie sich wünsche. Sie tanzt den Tanz der sieben Schleier und fordert dafür den Kopf des Jochanaan. Herodes versucht sie davon abzubringen, gibt aber schließlich nach. Entsetzt sehen er und die anderen Beteiligten, wie Salome mit dem abgeschlagenen Kopf spricht und ihn küßt. Herodes befiehlt, Salome zu töten.
Aufführung
Das Bühnenbild stellt einen Festsaal in einem großen Haus dar. Die Festgesellschaft ist bunt gemischt, in der Vorhalle brennt ein Feuer im Kamin und die Gäste des augenscheinlich schwerreichen Herodes sehen mit Befremden, was sich zwischen Salome und ihrem Stiefvater abspielt. Unter ihnen befindet sich auch der dünnhaarige, Zigarre rauchende und in einem Buch lesende Jochanaan. Die Regie enttäuscht Erwartungen an spektakuläre Effekte, einschließlich des berühmten Schockeffektes, wenn das abgeschlagene Haupt des Propheten auf dem Silbertablett aus der Tiefe gereicht wird. Jochanaan bleibt einfach weiter am Tisch sitzen und verschwindet während des langen Schlußmonologs Salomes aus der Tür. Auch der Tanz der sieben Schleier entfällt. Statt dessen herrscht ein gespenstischer Stillstand, während dessen sich Salome bis auf die Unterwäsche entkleidet und dann von Herodes in ein groteskes, übergroßes Puppenkleid gesteckt wird. Er trägt unterdessen die wie eine leblose Puppe passiv herunterhängende Salome durch den Saal. Zuvor hat sie sich das Gesicht weiß gemalt und sich in einem Regal versteckt. Kurz gesagt geht es bei dieser Inszenierung also in erster Linie nicht um das tragische Schicksal des Jochanaan, der hier, wie Strauss seinerzeit in einem Brief schrieb, schulmeisterlich rätselhafte Sprüche von sich gibt, sondern um den in Wildes Text angedeuteten Beginn des Mißbrauchs Salomes durch ihren Stiefvater. Durch diese leichte Akzentverschiebung erzeugt die Inszenierung trotz fehlender visueller Schockeffekte eine bedrückende, ja teilweise grauenhafte Spannung.
Sänger und Orchester
Orchester und Sänger wurden von Kent Nagano mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit geleitet. D.h. trotz des ständig changierenden, oft ins Geräuschhafte übergehenden und bisweilen massiven Klanges des großbesetzten Orchesters wurden die Sängereinsätze präzise gegeben und aus dem dichten Klanggewühl viele Themen analytisch herausgearbeitet. Der Klang bleibt stets abgerundet, auch wenn es unter Naganos Leitung oft richtig laut im Saal wird. Für die Sänger dieser Aufführung war das gar kein Problem dank schneller dynamischer Rücknahme bei ihren Einsätzen oder ihren kräftigen Stimmen in der hohen Lage. Was der Dirigent also erreichte, war eine perfekte Balance zwischen klanglicher Wucht und Transparenz.
Die Besetzung dieser Salome ist erstklassig, bis in die kleinen Rollen hinein. Das Judenquintett oder die kurzen Einsätze der beiden Nazarener werden nicht nur tadellos gesungen, sondern ihr Text, soweit es im Judenquintett eben nur geht, ist auch gut zu verstehen. Alle Rollen, auch die kleineren, werden mit großer psychologischer Intensität gestaltet, darunter etwa der von Jana Kurucová durchdringend gesungene Page. Oleksiy Palchykov ist ein eleganter Narraboth, dessen Tenor klanglich eher ins lyrische Fach gehört – was bei seinen verzweifelten Ausbrüchen gut paßt –, obwohl er kraftvoll wie ein Heldentenor zu singen in der Lage ist. Violeta Urmana gibt eine lauernde und haßerfüllte Herodias, deren laute und hektische Repliken exakt sitzen. Wie bereits erwähnt ist der von Kyle Ketelsen verkörperte Jochanaan kein Sympathieträger, im Gegenteil: Statt aus der Zisterne heraus hat er seine Passagen z.T. mit dem Rücken zum Publikum zu singen; der Text ist trotzdem zu verstehen. Seine Körpersprache signalisiert Desinteresse an allem und ein nicht geringes Maß an Eitelkeit, was seine kraftvoll gesungenen Verse eher von Geltungssucht denn von altruistischem Drang, die Welt zu retten, getragen erscheinen läßt. Es bleiben die beiden wichtigsten Rollen der Oper: John Daszak (Herodes) verleiht seiner Rolle des angetrunkenen und von Wahnvorstellungen geplagten Tetrarchen joviale Züge und läßt das Abgründige seines Charakters erst in dem Tanz der sieben Schleier vollends zutage treten. Seine Stimme hat sich gegen das massive Orchester zu behaupten, und am Ende der vierten Szene, als er Salome beschwört, von ihrem furchtbaren Wunsch abzusehen, wird die Anstrengung bei den hohen lauten Tönen kurz hörbar. Rhythmisch und von der Deutlichkeit der Aussprache her ist seine Leistung imponierend. Asmik Grigorian, die die Titelrolle verkörpert, ist eine Klasse für sich. Das gilt für ihren im doppelten Wortsinne hochdramatischen Stimmeinsatz wie für ihre schon beinahe beängstigende Art, sich in die Rolle und ihre geistige Verfassung hineinzusteigern. Darstellerisch und musikalisch ist sie ganz Ausdruck. Ihre Stimme verfügt in der hohen Lage über anscheinend unerschöpfliche Ressourcen – jedenfalls klingt sie trotz aller Expressivität nie angestrengt –, und darstellerisch ist sie kompromißlos. Die Zerstörung ihrer Psyche durch ihren Vater, ihr aufflammendes Interesse an dem arroganten Jochanaan, das anscheinend auch ihr selbst unverständlich bleibt, ihre zwischen selbstzerstörerischem Trotz und Passivität schwankende Persönlichkeit, die am Ende zuckend und zerstört auf dem Bühnenboden liegen bleibt, werden mit einer Kraft gespielt, die das Publikum in seinen Bann schlug. Einziger Kritikpunkt ist die bei dieser extremen Partie allerdings auch nur in wenigen Momenten überhaupt zu leistende Textverständlichkeit. Sie ist in den Sprechgesangspassagen, die sie tatsächlich beinahe sprach, gegeben, sonst eher nicht. Sie gleicht dies durch ihren variablen Stimmklang aus. Ihr steht eine breite Palette an ausdrucksstarken Nuancen zur Verfügung, die sie virtuos einsetzt und so über den Klang den Wortinhalt vermittelt.
Fazit
Die Premiere der Hamburger Salome war eine musikalisch-dramatische Sternstunde. Die Spannung, die im Spiel zwischen den Personen und während des langen Monologs Salomes am Ende zum Tragen kommt, war förmlich mit Händen zu greifen. Kent Nagano schafft einen lastenden, düsteren Orchesterklang, der gleichwohl nicht schwerfällig wird. Das Sängerensemble, allen voran Asmik Grigorian in der Hauptrolle, ist exzellent, und die leicht abgewandelte Erzählung geht auf. Bis auf wenige Buhrufe für die Regie und – aus welchem Grund, ist völlig unklar – für den Dirigenten zeigte das Publikum sich von dieser Produktion und der überragenden musikalischen Qualität begeistert und ergriffen.
Hinweis:
Der Fernsehkanal ARTE hat mit Salome die „Saison ARTE Opera“ eröffnet und stellt die Inszenierung für alle zugänglich in der Mediathek in 6 Sprachen und für 6 Monate auf ARTE Concert zur Verfügung: https://www.arte.tv/de/videos/115598-000-A/richard-strauss-salome/
Dr. Martin Knust
Bild: Monika Rittershaus
Das bild zeigt: Asmik Grigorian (Salome), Kyle Ketelsen (Jochanaan), James Kryshak, Florian Panzeri, Daniel Kluge, Andrew Dickinson und Hubert Kowalczyk (fünf Juden), Alexander Roslavets und Nicholas Mogg (zwei Nazarener), u.a.