von Amilcare Ponchielli (1834-1886), Oper in vier Akten, Libretto: Arrigo Boito unter dem Pseudonym: Tobia Gorrio, nach dem Drama Angelo, tyran de Padoue von Victor Hugo, UA: 8. April 1876 Mailand, Teatro alla Scala, Endfassung: 1879 Genua
Regie: Oliver Mears, Bühnenbild: Philipp Fürhofer, Kostüme: Annemarie Woods, Choreographie: Lucy Burge
Dirigent: Antonio Pappano, Orchestra dell’Accademia Nazionale Di Santa Cecilia
Solisten: Anna Netrebko (Gioconda), Agnieszka Rehlis (die Blinde), Eva-Maud Hubeaux (Laura Adorno), Jonas Kaufmann (Enzo Grimaldo), Tareq Nazmi (Alvise Badoèro), Luca Salsi (Barnabá) u.a.
Besuchte Aufführung: 27. März 2024 im Großen Festspielhaus
Während des Karnevals in Venedig findet Enzo, ein Genueser Fürst, der um sein Land gebracht wurde und sich als Seemann durchschlägt, seine Jugendliebe Laura wieder, die mit Alvise verheiratet ist. Die Sängerin Gioconda liebt Enzo und wehrt sich gegen die Annäherungsversuche des Spions Barnaba. Als der einsieht, daß er sie auf friedlichem Wege nicht gewinnen kann, klagt er ihre Mutter, die Blinde, der Hexerei an. Ihr Leben wird durch das Einschreiten Lauras gerettet. Deswegen fühlt sich Gioconda ihr verpflichtet. Doch sie gerät mit ihr in einem Streit um Enzo aneinander. Schließlich verzichtet sie auf ihn. Alvise hat durch Barnaba mittlerweile erfahren, daß seine Frau Laura mit Enzo zu fliehen gedenkt. Er zwingt sie dazu, sich zu vergiften, doch gelingt es Gioconda, das Gift gegen einen Schlaftrunk auszutauschen. Als Enzo erfährt, daß Laura tot sei, gibt er seine wahre Identität zu erkennen und wird verhaftet. Gioconda überredet Barnaba, ihn freizulassen und bietet ihm als Gegenleistung ihren Körper an. Barnaba willigt ein und Enzo und die aus ihrem Schlaf erwachte Laura können fliehen. Bevor Barnaba sich jedoch an Gioconda vergehen kann, nimmt sie sich das Leben.
Aufführung
Die epische Breite der Bühne des Salzburger Festspielhauses ist bekannt und bei Regisseuren und Bühnenbildnern gefürchtet. Denn wie soll man die Breite sinnvoll nutzen und Handlung, Ensemble und Chor „in die Breite ziehen“, sie sinnvoll aufstellen?
Es gelingt zwar die laufende Handlung zwar an konkreten Stellen zu bündeln, also mittels eines relativ einfachen Bühnenbildes auf eine größere Fläche zu verteilen. So nimmt beispielsweise eine Mauer mit einer kleinen Madonna-Kapelle fast ein drittel der Bühne ein, verteilt so die Bühnenhandlung eines Duetts über einen großen Teil der Bühne. Man erkennt in einem klassizistischen Gebäude einen Gesellschaftsabend mit Dinner und einen Anlegesteg mit großem Ozeandampfer. Allerdings fehlt ein klarer Bezug auf Venedig – historisch oder aktuell. Es gibt keine Regatta, keinen goldenen Saal in einem Palast, kein San Marco oder überhaupt einen religiösen Bezug. Die Verwandlungen geschehen meist bei geöffnetem Vorhang durch gemächliches Verschieben der Kulissen. Die Zwischenmusiken unterstützen dies, bieten sogar noch Raum für weitere Tanzeinlagen.
Durch die Beschreibung des Bühnenbildes wird deutlich, daß die Handlung in die heutige Zeit verlegt wurde, es gibt somit keine Inquisition, keine Hexenverfolgung und auch keine machthungrigen Priester. Der Handlungsort ist ein unbestimmbarer Ort, der gerade jetzt überall auf der Welt zu finden wäre. Damit entfällt natürlich der Handlungsbezug an vielen Stellen der Oper, der einige Lücken in der Handlung aufwirft. Heutzutage kann man nicht einfach Mitmenschen vergiften oder zu quälen – auch ohne Konsens der Inquisition. Auch beginnt Gioconda nicht als Straßensängerin, sondern wird von ihrer Mutter, der Blinden, an Männer vermietet. Hierzu bringt Barnaba seine eigene Matratze mit. Die Handlung vollzieht sich bei geschlossenem Vorhang. Gioconda darf dann den Inquisitor Alvise mit dem Messer erstechen, ihr eigener Selbstmord unterbleibt bei offenem Vorhang.
Sänger und Orchester
Es gibt da einen herrlichen Bonmot, daß La Gioconda ganz einfach zu besetzen sei: Man muß nur die weltbesten Vertreter für die fünf Hauptrollen auswählen. In der Tat sind die Anforderungen Ponchiellis an den Sopran, Tenor, Bariton, Mezzosopran und Baß sehr hoch, so daß man die Qualität von Besetzungen dieser Oper mit der Nennung dieser fünf Namen beschreiben kann. Eine dieser als legendär bezeichneten Besetzungen wäre Anita Cerquetti, Mario del Monaco, Ettore Bastianini, Giulietta Simionato und Cesare Siepi (AD 1957, Florenz).
Im Falle dieser Produktion der Salzburger Osterfestspiele 2024 kann man sagen, daß man nominell eine Top-Besetzung mit altbekannten Sängern gefunden hat, jedoch stellt sich nun die Frage, ob diese auch tatsächlich den hohen Ansprüchen an die einzelnen Rollen heute noch gerecht werden.
Anna Netrebko ist immer noch der schwere Sopran, zu dem sie sich entwickelt hat. Sie hat nach wie vor eine große Strahlkraft und kann immer noch mit einem wirklich tragenden Pianissimo dienen. Ihr Schlußwort Suicidio ist das Ausrufezeichen zu dem Statement, das sie weiterhin nach Salzburg gehört. Jonas Kaufmann als Enzo versucht im Duett mit Gioconda im Piano mitzuhalten, jedoch scheitert er und muß kräftig nachdrücken. Überdies verliert die Stimme den tenoralen Glanz, klingt über weite Strecken matt und neigt zu Schärfen. Er beginnt auch mit dem Rückzug, nach diesem Sommer wird er Intendant bei den Tiroler Festspielen in Erl und wird dort das Programm verantworten. Dazu zählt eine Galavorstellung der Walküre, in der er noch einmal den Siegmund singen wird.
Luca Salsi als Spitzel Barnaba muß sich am Anfang erst frei singen, er gewinnt im dramatischen Finale an baritonaler Leuchtkraft und läuft zu großer Stärke auf in dem dramatischen Moment O monumento. Tareq Nazmi zählt im italienischen Fach als Baß zur Weltspitze. Mit seiner kultivierten Stimme hat er die entsprechende Tiefe – die Charakterisierung des Strippenzieher Alvise als intellektuellen Bösewicht gelingt nur teilweise. Eva-Maud Hubeaux gestaltet die Rolle der Laura sehr spannungsgeladen. Ihr schlanker, klar timbrierter Mezzosopran ist der passende Gegenspieler zum Alt, der von Agnieszka Rehlis als Blinde (Mutter der Gioconda) problemlos beigestellt wird.
Die Vorstellung macht mehr als deutlich weshalb das Orchestra dell’Accademia Nazionale Di Santa Cecilia, also das Orchester der Nationalakademie der heiligen Cecilie, neben dem Orchester der Mailänder Scala als das italienische Top-Orchester gilt und in Rom auch die römische Nationaloper auf die Plätze verweist. Antonio Pappano ist der kongeniale Steuermann auf diesem Wege in dezidierter Filigranität. Gerade in der Begleitung der Gesangsstimmen durch die anspruchvollen Gesangslinien wird beispielhaft gearbeitet. Aber auch in den zahlreichen Orchesterstücken bzw. der großen Ballett-Einlage, dem Tanz der Stunden, wird großartiges geleistet – zumal hier nichts gekürzt wird und mittels einer wirklich professionellen Ballett-Kompanie man wirklich endlich einmal von einer Ballett-Einlage sprechen kann. Sie erzählt die Lebensgeschichte der Sängerin „Mona Lisa“ und damit auch die Handlung dieser Oper nach. Was für das Verständnis der Inszenierung durchaus hilfreich ist.
Fazit
In diesem Jahr sollte man in das Fazit zu den Osterfestspielen die Konkurrenz Veranstaltungen in Baden-Baden und Dresden mit heranziehen. Denn in Baden-Baden gab es eine gefeierte Elektra mit den Berliner Philharmonikern, in Dresden spielte die Sächsische Staatskapelle letztmalig unter Thielemann bei den Strauß-Tagen eine luxuriös besetzte Frau ohne Schatten, die nicht nur den Thielemann-Fankreis von der Salzach an die Elbe lockte. Hinzu kommt, daß die Staatskapelle und Thielemann bislang die Osterfestspiele beglückten, seit diesem Jahr aber in Salzburg zu Ostern unter einem neuen Intendanten jährlich wechselnde Orchester nebst Dirigenten unterschiedliche Konzepte vortragen. Ob dieses Wechselkonzept das Publikum im nächsten Jahr oder gar auf Dauer trägt, wird sich zeigen – zumal wie bei Festspielen üblich auch die unterschiedliche Zugkraft der Sänger bzw. der Namen wichtig ist.
Streng genommen kann man auch Wien zu den Osterfestivals ins diesem Jahr zählen, denn die vor Jahren in Salzburg herausgekommene Lohengrin-Produktion wechselte nicht nach Dresden (dort wollte man sie nicht, statt dessen renovierte man die legendäre Mielitz-Inszenierung), sondern an die Wiener Staatsoper, wo sie mit aufwendig gekürzter Breite bzw. angepaßten Bühnenbild und ebenfalls opulenter Besetzung im April Premiere feiert.
Zieht man nun den internationalen Vergleich, so muß man sagen, alle haben ihre Stärken und Schwächen, können aber vor allem in der musikalischen Umsetzung bzw. Besetzung überzeugen. In Salzburg kann man konstatieren, daß das Publikum auf jeden Fall auf seine Kosten kam und der Schlußapplaus für die musikalische Darstellung eher positiv ausfiel, während es für die szenische Darbietung deutliche Zurückhaltung gab. Wobei man hier auch differenzieren muß, denn die Ballett-Freunde kamen deutlich hörbar auf ihre Kosten.
Oliver Hohlbach
Bild: Bernd Uhlig
Das Bild zeigt: Liudmila Konovalova (Gioconda als Erwachsene), Anna Netrebko (La Gioconda), Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Bachchor Salzburg