von Richard Wagner (1813 – 1883), dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen in drei Aufzügen und einem Vorspiel, Text vom Komponisten, UA: 17. August 1876, Bayreuther Festspielhaus, Bayreuth
Regie: Anna Kelo, Bühnenbild, Licht und Video: Mikki Kunttu, Kostüme: Erika Turunen
Dirigent: Hannu Lintu, Orchester der finnischen Nationaloper
Chor der finnischen Nationaloper, Leitung: Marge Mehilane
Solisten: Daniel Brenna (Siegfried), Johanna Rusanen (Brünnhilde), Rúni Brattaberg (Hagen), Jukka Rasilainen (Alberich), Tuomas Pursio (Gunther), Reetta Haavisto (Gutrune), Tuija Knihtilä (Waltraute), Noa Beinart (erste Norn), Niina Keitel (zweite Norn), Sonja Herranen (dritte Norn), Marjukka Tepponen (Woglinde), Mari Palo (Wellgunde), Jeni Packalen (Floßhilde)
Besuchte Aufführung: 17. Mai 2024 (Premiere)
Die drei Nornen sehen das Ende der Götter voraus. Siegfried verabschiedet sich bei Tagesanbruch von Brünnhilde auf dem Walkürenfelsen, um in der Welt Heldentaten zu vollbringen. Er trifft auf dem Hof der Gibichungen ein und wird das Opfer einer Intrige: Gutrune bietet ihm einen Trank an, der ihn Brünnhilde vergessen läßt. Daraufhin verspricht Siegfried Gunther, ihm Brünnhilde als Braut vom Walkürenfelsen zu bringen, wenn er dessen Schwester Gutrune heiraten dürfe. Gunther willigt ein. Hagen, der Urheber dieser Intrige, gibt Siegfried den Rat, sich mit Hilfe des Tarnhelms in Gunther zu verwandeln, um Brünnhilde zu täuschen. Als die beiden aufgebrochen sind, gibt er sich als Alberichs Sohn zu erkennen.
Die Walküre Waltraute kommt zu Brünnhilde, um ihr mitzuteilen, daß Wotan sich von ihr wünsche, den Ring, den sie von Siegfried bekommen hat, den Rheintöchtern zu geben und so das Ende der Götter einzuleiten. Brünnhilde weigert sich und schickt ihre Schwester fort. Siegfried in der Gestalt Gunthers erscheint, überwältigt sie und nimmt ihr den Ring. Vor ihrer Rückkehr am nächsten Morgen übergibt er sie unbemerkt an Gunther. Hagen ruft die Mannen zusammen, um Gunther mit Brünnhilde zu empfangen. Brünnhilde ist verwirrt, als sie Siegfried mit Gutrune erblickt. Als sie auch noch den Ring an seinem Finger sieht, bezichtigt sie ihn des Verrates an Gunther. Siegfried weist ihren Verdacht von sich. Nachdem Siegfried mit Gutrune und der Hochzeitsgesellschaft weitergezogen ist, beschließen Gunther, Hagen und Brünnhilde, daß er für seinen Verrat mit dem Tode büßen soll. Man beraumt eine Jagd an.
Auf der Jagd verläuft sich Siegfried und begegnet den Rheintöchtern, die ihn warnen und den Ring verlangen. Er weigert sich und sie verschwinden. Die Jagdgesellschaft trifft ein. Hagen verabreicht Siegfried einen Trank, der seine Erinnerung an Brünnhilde wieder herstellt. Als er begeistert von seiner Vereinigung mit der Walküre berichtet, tötet ihn Hagen. Die Jagdgesellschaft kehrt mit dem toten Siegfried an den Hof der Gibichungen zurück. Dort kommt es zum Streit um den Ring zwischen Gunther und Hagen, der seinen Halbbruder tötet. Bevor er den Ring an sich nehmen kann, erscheint Brünnhilde, löst die Intrige auf, nimmt den Ring an sich, und befiehlt, Siegfrieds Leichnam zu verbrennen. Sie folgt ihm mit in den Tod, der Rhein tritt über die Ufer, die Rheintöchter erhalten den Ring zurück und die Götterburg Walhall geht in Flammen auf.
Aufführung
Zu sehen sind die gleichen szenischen Elemente wie in den vorangegangenen Teilen. Felsengebirge, Gibichungenburg und Walhall werden mit großen schwarzen Blöcken angedeutet. Verglichen mit den vorigen drei Teilen ist die Beleuchtung zwar nicht weniger aufwendig, insgesamt ist die Bühne aber wesentlich dunkler und weniger bunt – mit Ausnahme des Schlußbildes. Wir befinden uns in einer endzeitlichen Welt. Die Sänger und Statisten haben stilisierte Gasmasken auf, sobald sie die Burg Gunthers verlassen, und Siegfried wird, als er vom Walkürefelsen dort ankommt, zunächst von einem Ärzteteam untersucht, bevor er zu Gunther vorgelassen wird. Der hält sich, wie seine Schwester Gutrune, in einem schützenden Ei auf und ist überhaupt recht vorsichtig; Brünnhilde wird beispielsweise sicherheitshalber in einem Käfig transportiert. Aus einem großen Ei war im Rheingold auch Alberich geschlüpft, der in einer Albtraumsequenz seinem Sohn Hagen erscheint und zu einem gespenstischen Vogel zu mutieren beginnt. Siegfried ist anfänglich ein naiver Charakter, der auf dem Walkürefelsen einen Gemüsegarten angelegt hat, jeden Unbekannten umarmt und sich aus den Gewächsen, die er findet, etwas zu Essen rupft. Seine burschikose Art scheint nach Einnahme des Trankes nur noch gelegentlich durch, und am Ende des ersten Aufzugs erniedrigt er Brünnhilde ohne die geringste Spur von Empathie. Spektakulär sind die Nornenszene, in der die drei Töchter Erdas als gezackte Berggipfel erscheinen, und die Gestaltung der Schlußsequenz: Als Brünnhilde das Feuer entzündet, hat sich der riesige Ring, den man in der Walküre sehen konnte, herabgesenkt und beginnt aufzulodern. Er zerfällt brennend in seine Teile, als sich die gesamte Szene in den Rhein hinabsenkt und am Schluß erscheinen die Götter im rauchenden Walhall, das ebenfalls unter den letzten Akkorden in der Tiefe versinkt. Riesige Ringe finden sich auch diesmal im überall Bühnenbild wieder, etwa in der Gibichungenhalle oder auf den Zwischenvorhängen. Sie erinnern an die Korona einer Sonnenfinsternis. Beleuchtung und Videoeffekte verdeutlichen oft den Wortinhalt, etwa in der Nornenszene, wenn das Gebirge zu brennen beginnt, sobald vom Brand der Weltesche die Rede ist, oder wenn sich die Szene erhellt als Hagen sich als Sohn Alberichs zu erkennen gibt.
Sänger und Orchester
Hannu Lintu blieb seinem Ansatz aus den vorigen Ring-Teilen treu und setzte auf eine rhythmisch und dynamisch blockhafte Gestaltung der Partitur. Das bedeutet, daß die kräftigen Farben dominierten und das Orchester generell recht laut spielte. Solisten und Chor hatten also immer gegen eine recht stabile Wand anzusingen und gaben ihr Möglichstes. Enorm waren die Tenorspitzen in den Chören der Mannen. Der druckvolle Vortrag hinterließ im Laufe des Abends nicht nur bei einigen Sängern, sondern auch im Orchester seine Spuren, vor allem im Blech. Und durch die gedehnten Tempi schwoll die Spieldauer des ersten Aufzugs auf imponierende volle zwei Stunden an. Zu den Solisten im einzelnen: Daniel Brenna (Siegfried) hat eine wandelbare Stimme und gute Aussprache, ist aber auch ein begnadeter Darsteller mit seinem schalkhaften, beweglichen Vortrag. Sein Siegfried zeichnet sich durch eine jugendliche Unbeschwertheit aus und musikalisch leistete er viel Detailarbeit, die mitunter vom Orchester überdeckt wurde. Johanna Rusanen (Brünnhilde) teilte sich ihre schwere Partie geschickt ein. Zwar drang sie ohne Probleme stets durch den dichten Orchesterklang hindurch, doch am Ende zeigte sie in ihrem Schlußmonolog, über was für gewaltige stimmliche Reserven sie verfügte. Mimisch ist sie vor allem in den tragischen und energischen Momenten ausdrucksstark. Rúni Brattaberg (Hagen) steht ihr in letzterer Hinsicht in nichts nach. Er verfügt über eine mächtige physische Erscheinung. Der Klang seiner Stimme war, vielleicht bedingt durch das starke Orchester, heterogen, was seiner Interpretation jedoch eine interessante Note verlieh. Zeitweilig klang er wie ein Heldenbariton mit einer soliden Höhe, zeitweilig war seine Stimme in der Mittellage etwas rauh und glanzlos, was seinem finsteren Charakter aber gut anstand. Jukka Rasilainen (Alberich) ist ein Dämon, der seinen Sohn peinigt und hat ein unnachahmlich bösartiges Mienenspiel. Seine Aussprache war jedoch wieder sehr unausgeglichen; mitunter fallen bei ihm die s- und t-Laute komplett weg. Tuomas Pursio (Gunther) sang und spielte seine Rolle elegant und beinahe etwas kühl. Sein Registerausgleich ist kultiviert, die Klanggebung über weite Strecken makellos; lediglich bei ein paar langen, lauten Tönen machte sich ein Tremolo bemerkbar. Reetta Haavisto (Gutrune) machte aus ihrer Rolle darstellerisch und gesanglich das Beste. Eine beeindruckende Leistung lieferte Tuija Knihtilä (Waltraute) ab. Ihre Stimme hat ein samtweiches, volles Register in der Tiefe, das sie zum Ende ihrer Erzählung sehr schön zur Geltung brachte. Noa Beinart (erste Norn) war von den drei Sängerinnen der Nornenpartien diejenige mit der besten Aussprache und Stimme. Die im Vergleich zum Rheingold gealterten Rheintöchter – Marjukka Tepponen (Woglinde), Mari Palo (Wellgunde) und Jeni Packalen (Floßhilde) – spielen beweglich im Schatten. Da Lintu für ihre Gesänge ein recht flottes Tempo wählte, wollte sich aber kein verschmelzender Ensembleklang einstellen.
Fazit
Der neue Ring in Helsinki ging musikalisch kraftvoll und bildgewaltig zu Ende. Von der Inszenierung her ist die Götterdämmerung der düsterste Teil geworden, sowohl von der Beleuchtung als auch dem Inhalt her, was ja auch vollkommen angebracht ist. Von den derzeit in den meisten Opernhäusern zu sehenden Inszenierungen der Tetralogie unterscheidet sich diese finnische Produktion dadurch, daß sie Wagners Regieanweisungen strikt respektiert. Es gibt nur ganz wenige, die Handlung verdeutlichende oder intensivierende Abweichungen, aber keinen Ansatz zu einer eigenen Erzählung. Selbst die nur schwer umzusetzenden szenischen Anweisungen Wagners für den Schluß werden vollständig umgesetzt. Hier läßt sich sehen, zu welch umwerfenden Resultaten eine genaue Befolgung und Koordination der originalen szenischen Anweisungen mit der Musik in der Oper führen kann. Diese Götterdämmerung ist jedoch kein historisierendes Kostümdrama geworden, sondern übersetzt Wagners Ring in eine zeitlose Bildsprache.
Die musikalische Interpretation mit dem starken Orchester mag nicht jedermanns Sache sein, gibt dem Ganzen aber auf jeden Fall einen unverwechselbaren Charakter und verlangt den Solisten das Äußerste ab. Die Sängerinnen und Sänger der Hauptpartien sind ausgezeichnet, der Chor glänzend. Das Publikum feierte die Interpreten, allen voran Johanna Rusanen, und das Orchester enthusiastisch. Eine Götterdämmerung für alle, die eine Auszeit vom Regietheater brauchen.
Dr. Martin Knust
Bild: Stefan Bremer
Das Bild zeigt: Tuomas Pursio (Gunther), Rúni Brattaberg (Hagen), Daniel Brenna (Siegfried)