42. Festival International d’Opéra Baroque & Romantique 2024, Beaune

Coronation Anthems

von G.F. Händel (1685-1759), Krönungshymnen mit vier Stücken, UA: Westminster Abbey am 11. Oktober 1727

Chor und Orchester : Le Concert Spirituel

Dirigent: Hervé Niquet

Orgel: François Saint-Yves

Besuchte Aufführung: 26. Juli 2024, Basilica Notre-Dame

Programm

Coronation Anthems („Krönungshymnen“)

Dettinger Te Deum (1743) HWV 283

My Heart Is Inditing HW 261

Zadok the Priest HWV 258

Let thy hand be strengthened HWV 259

The king shall rejoice HWV 260

Vorbemerkung
Als Coronation Anthems (Krönungshymnen) bezeichnet man im allgemeinen vier von Georg Friedrich Händel komponierte geistliche Chorwerke (Anthems) mit den Titeln Zadok the Priest, Let Thy Hand Be Strengthened, The King Shall Rejoice und My Heart Is Inditing.
Händel komponierte die vier Anthems als Auftragswerk des britischen Königs Georg II. zu dessen Krönung in der Westminster Abbey am 11. Oktober 1727.
Die Coronation Anthems zielen ebenso wie das Dettinger Te Deum, das den Sieg Englands über die französische Armee bei Dettingen 1743 feiert, darauf ab, die Macht der englischen Krone zu stärken.
Es war das größte Ensemble, das Händel je dirigiert hatte, mit den 24 Streichern des Königs, den gesamten 12 Trompetern und Paukern, ergänzt durch weitere 57 Musiker.

Aufführung
Die Musiker vom Chor und Orchester, Le Concert Spirituel, unter der Leitung Hervé Niquet sind ein sehr gut aufgestelltes Team.
Die Stimmen der Sängerinnen (Sopran und Alt) bestanden aus je 4 Personen und die Männerstimmen (Tenor und Baß) waren nur dreifach besetzt. Es hörte sich trotzdem wie ein großer Chor an.
Die Orchesterstimmen sind nur doppelt besetzt. Aber was für ein Klang! Der Klang ist sonor, doch nie zu laut und aufdringlich. Besonders möchte ich die präzise Artikulation erwähnen.
Der Gesangstext ist Englisch, aber man verstand ihn genau. Der souveräne Dirigent Hervé Niquet mit seinem Temperament füllt die Gewölbe der Basilika Notre-Dame mit Feuer. Alle Zuhörer sind begeistert und genießen mit Freude die Komposition.
Diese flammende und energiegeladene Musik des Dettinger Te Deums spricht alle Sinne an und ruft Staunen und Begeisterung hervor.

Fazit
Die Zugabe erklang nochmals faszinierend mit God Save the King. Wir erlebten einen sehr schönen Musikabend. Alles war makellos und ihr meisterhaftes Können konnten alle beteiligten Künstler uns beweisen. Das Publikum war wirklich zufrieden.
Der Applaus war langhaltend.

Rinaldo

von G.F. Händel (1685-1759), Oper in einem Prolog und drei Akten, Libretto: Giovanni Francesco Busenello  UA: Venedig 1642, Teatro Santi Giovanni e Paolo

Chor und Orchester : Les Accents, Cembalo : Phillipe Grisvard

Dirigent: Thibault Noally

Solisten: Carlo Vistoli (Rinaldo), countertenor, Chiara Skerath (Armida), Sopran, Gwendoline Blondeel (Almirena), Sopran, Lorrie Garcia (Goffredo), contralto, – Anthea Pichanik (Eustazio), contralto, Victor Sicard (Argante), Bariton

Besuchte Aufführung: 27. Juli 2024, Notre-Dame Basilica

Vorbemerkung
Rinaldo ist das erste italienische lyrische Drama, das Händel für die Londoner Bühne komponierte. Die Premiere am 24. Februar 1711 im Queen‘s Theater in Haymarket mit dem Kastraten Nicolini und der Sopranistin Francesca Boschi in den Titelrollen war ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Oper in England. Mit 15 triumphalen Aufführungen markiert Rinaldo den Beginn von Händels Eroberung der englischen Oper. Die Handlung basiert auf Tassos La Gerusalemme liberata und handelt von Goffredo, dem Anführer der christlichen Kreuzfahrer, der dem Helden Rinaldo die Hand seiner Tochter Almirena verspricht, falls die heilige Stadt, die von König Argante und der Zauberin Armide verteidigt wird, erobert wird. Rinaldo enthält eine Reihe von Nummern, die zu den schönsten gehören, die Händel je komponiert hat, darunter die berühmten Arien „Cara Sposa“ und „Lascia ch‘io pianga“, zutiefst bewegende und ergreifende Melodien.

Kurzinhalt
Belagerung Jerusalems um 1100 während des ersten Kreuzzugs: Goffredo, der General der christlichen Armee, steht im Kampf gegen die Sarazenen. Er hat dem Helden Rinaldo zur Belohnung die Hand seiner Tochter Almirena versprochen, sollte er siegreich zurückkehren. Der gegnerische König Argante hat eine mächtige Verbündete, die Zauberin Armida. Sie entführt Almirena und versucht, Rinaldo in ihre Gewalt zu bringen, um den Krieg zu beenden. Sie lockt ihn auf seiner Suche nach der Geliebten in ihr Zauberreich und bemüht sich mit allen Mitteln, ihn zu verführen – vergebens. Mit Hilfe eines Magiers wird das Liebespaar schließlich befreit, Rinaldo erringt den Sieg.

Aufführung
Das Orchester Les Accents unter dem energischen Dirigat von Thibault Noally, der selbst als erster Geiger spielte, musizierte hoch konzentriert und wunderbar transparent. Die Musiker paßten sich den oft recht zügigen Tempi an und behielten dennoch die Leichtigkeit im Spiel. Alle Instrumentalsolisten bewiesen ihre große technische Versiertheit und traten in reizvollen Dialog mit den Sängern. Extra zu erwähnen ist das hier die Musiker im gleichermaßen einfühlsamem wie virtuosem Spiel von Phillipe Grisvard (Cembalo), die brillant und couragiert blasenden Trompeter sowie der überragende Solo-Oboist. Die Kommunikation zwischen Dirigent und Orchester zeugte von einfühlsamer Aufmerksamkeit. Die Sänger waren tadellos einstudiert, beispielsweise Gwendoline Blondeel (Almirena): Sie glänzte mit weicher, flexibler Stimme, die in den höheren Registern und bei allen Koloraturen ihre Zartheit und dynamische Bandbreite behielt. Die Arie Lascia ch’io pianga – Lass mich weinen (2. Akt) wurde zu einem intimen Moment, worin Gwendoline Blondeel die tiefe Trauer berührend darstellte.
Einer der Höhepunkte war das Duett Fermati! – No, crudel! – Hör auf! – Nein, Grausamer! (2. Akt) zwischen Almirena und Rinaldo. Voller Dramatik, aber mit stets kontrollierter, intonationssicherer und schöner Stimme, brillierten beide in den virtuosen Passagen. Der Countertenor Carlo Vistoli (Rinaldo), besaß eine klare Stimme mit allerlei stimmlichen Farben und war klangvoll mit sehr guter Koloraturtechnik sowohl in der unteren Oktave als auch in warmer, runder Höhe bei erstaunlicher Kondition: Die Arie Venti, turbini, prestate – Winde, Stürm, vorbereitet (1. Akt) erregte spontane Bravorufe. Bariton Victor Sicard stellte einen eindrucksvollen Argante mit seiner langanhaltenden Atemtechnik und seiner geschmeidigen Stimme dar, die sich aber in den Rezitativen und Koloraturen durchaus von ihrer klangschönen Seite zeigte.
Mit fast schon dämonischer Energie gestaltete Chiara Skerath die Partie der Armida. Die Sopranistin zeigt ein feuriges Temperament mit einer großen dramatischen Vielseitigkeit, wobei die stimmliche Intonation bei den Spitzentönen mühelos gelang: Sie stellte sämtliche Facetten in der Entwicklung der Zauberin ausgesprochen berührend dar, was auch ihrem eher dunklen Timbre zuzuschreiben war. Ihre Arie wurde durch die virtuose Begleitung des Cembalos noch stärker hervorgehoben.

Fazit
Es war eine runde Darstellung mit großem Engagement aller beteiligten Künstler. Hinzu kam das Dirigat von Thibault Noally, der das Orchester als erster Geiger leitete und damit eine dynamische Version des Werkes präzis und brillant darbot.
Wegen des plötzlichen Regens war die Veranstaltung in die Notre-Dame Basilica verlegt worden, was der Akustik sehr zugute kam und viel besser als im Cour des Hospices. Händels Rinaldo war selten auf diese Art zu hören. Es war ein Vergnügen und große Freude für das Publikum. Wir, die Zuhörer, waren auch sehr dankbar.

 Solokonzert

Un castrat Superstar: Antonio Bernacchi

Carlo Vistoli, Countertenor

Programm

Pietro Torri (1650-1737)

Adelhaide: D’oricalchi il rimbombo Guerriero

Georg Friedrich Händel (1685-1759)

Lotario: Alla tenda real… Non disperi peregrino

Pietro Torri

L’Epaminonda: Se ben cruda è la sentenza

Alessandro Scarlatti (1660-1725)

Quartetto en ré mineur

Griselda: Vago sei, volto amoroso

Georg Friedrich Händel

Partenope: Combattono il mio core… Furibondo spira il vento

Georg Friedrich Händel

Partenope: Rosmira, o Dio!… Sento amor con novi dardi

Alessandro Scarlatti

Griselda: Vorresti col tuo pianto

Antonio Vivaldi (1678-1741)

Konzert für Violine RV 275

Luca Antonio Predieri (1688-1767)

Scipione il giovane: Dovria quest’occhi piangere

Gaetano Maria Schiassi (1698-1754)

Demofoonte: Son qual legno

Ensemble Les Accents

Dirigent, Violin I: Thibault Noally

Violin II: Mario Konaka

Bratsche: Luccie Uzzeni

Violoncelle : Elisa Joglar

Contrabaß : Michele Zeoli

Theorbe : Benjamin Narvey

Cembalo : Brice Sailly

Besuchte Aufführung : 28. Juli 2024, Notre-Dame Basilica

Vorbemerkung
Dank der Entdeckung durch die Gründerin (zusammen mit ihrem vor zwei Jahren verstorbenen Ehemann Kader Assisi) und der künstlerischen Leiterin des Beaune-Festivals Anne Blanchard beim Renata-Tebaldi-Wettbewerb in San Marino hat sich der Countertenor Carlo Vistoli zu einem der brillantesten Countertenöre der neuen Generation und zum privilegierten Partner der Stimmvirtuosin Cecilia Bartoli entwickelt. Countertenor Carlo Vistoli studierte am Frescobaldi-Konservatorium in Ferrara, an der Universität von Bologna. Er gab 2012 sein Bühnendebüt in Dido und Aeneas. 2015 wurde er für die Akademie Le Jardin de Voix unter der Leitung von William Christie ausgewählt, mit dem er seither zusammenarbeitet. 2017 nahm er an John Eliot Gardiners Projekt Monteverdi450 teil, das international auf Tournee ging. In jüngerer Zeit war er u. a. in Orlando furioso am Teatro La Fenice in Venedig, L‘incoronazione di Poppea bei den Salzburger Festspielen, Orfeo ed Euridice in der Inszenierung von Robert Carsen in Rom und Semele in Paris, London und Mailand zu erleben.
Anzumerken ist, daß Antonio Bernacchi als Sänger und Lehrer einer der berühmtesten und am meisten verehrten Kastraten des 18. Jahrhunderts war. Zu seinen Schülern zählten Farinelli und der Tenor Anton Raaf.

Aufführung
Als letzte Aufführung des Festivals von Beaune 2024 war das Konzert als Ehrung dem aus Bologna stammenden Kastraten Antonio Bernacchi gewidmet. Countertenor Carlo Vistoli hat am Vorabend die Rolle des Rinaldo gesungen zusammen mit dem Ensemble Les Accents unter der Leitung von Thibault Noally, das den Sänger fabelhaft unterstützte. Der Countertenor Carlo Vistoli, wollte diesem weltbekannten Kastraten des 18. Jahrhunderts eine besondere Bewunderung erweisen. Antonio Bernacchi (1685-1756) war sicherlich weniger bekannt als die legendären Kastraten seiner Zeit wie Farinelli oder Senesino. Aber als Gesangslehrer und Komponist nimmt er dennoch einen wesentlichen Platz in der Musik- und Gesangsgeschichte seiner Zeit ein. So war Antonio Bernacchi beispielsweise der Lehrer des berühmten Farinelli, auch er war in London im King’s Theatre engagiert und sang dort in Uraufführungen und Wiederaufnahmen von Händels Bühnenwerken.
Mit der Unterstützung von Thibault Noally hat Carlo Vistoli eine bedeutende Auswahl von Opern getroffen, die er auf der Bühne aufgeführt hat, von berühmten Komponisten wie Händel und Scarlatti bis hin zu anderen, die heute fast vergessen sind, emotionsgelandenen Partien Gaetano Maria Schiassi oder Pietro Torri.
Carlo Vistoli konnte im gesamten Konzert, seinen langen Atem und eine vollkommen beherrschte Kunst der Verzierung in den Koloraturen zeigen.
Sein Gesang war sehr fließend, ohne einen festen oder unpassenden Ton. Seine Atemtechnik, die er hundertprozentig gut beherrschte, ist ein integraler Bestandteil seiner Gestaltung langer Koloraturen.
Es waren die emotionsgeladenen und enthusiastischen stimmlichen Qualitäten seines souveränen Gesanges -in allen Auszügen aus Händels Lotario und Partenope, Scarlattis Griselda, Luca Antonio Predieris Scipione il Giovane– und die schließlich mit Gaetano Maria Schiasis Demofoonte eine Arie zum stürmischen Ende setzten.

Fazit
Als Zugabe sang Vistoli eine Tolomeo Arie aus Händels Giulio Cesare mit den virtuosen Geigenstimmen. Thibaut Noally’s Geigenstimme und Vistolis menschliche Stimme wetteiferten miteinander darum, wer weiter, wer besser hochsteigen konnte.
Das anerkennende Publikum war rasend und belohnte den Countertenor Carlo Vistoli und das Ensemble Les Accents mit Thibaut Noally, für ihre großartige Kunst mit einem langanhaltenden Applaus.

Es war eine unvergeßliche Aufführung!

Dr. Olaf Zenner

Bild 1 : Hervé Niquet und Le Concert Spirituel (© Ars Essentia)
Bild 2: Chiara Skerath (Armida) (© Lucie Bolzan)
Bild3: Die Sänger mit Thibault Noally (Dirigent, 1. Geige) (© Ars Essentia)

 

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