Lohengrin – Bremen, Theater

von Richard Wagner (1813 – 1883), Romantische Oper in drei Aufzügen, Text vom Komponisten

UA: 28. August 1850, Deutsches Nationaltheater und Staatskapelle Weimar, Weimar

Regie: Frank Hilbrich, Bühne: Harald Thor, Kostüme: Tanja Hofmann, Dramaturgie: Frederike Köhler, Licht: Christian Kemmetmüller

Dirigent: Stefan Klingele, Bremer Philharmoniker, Opernchor und Extrachor des Theater Bremen, Chorleitung: Karl Bernewitz

Solisten: Christopher Sokolowski (Lohengrin), Hidenori Inoue (Heinrich der Vogler), Sarah-Jane Brandon (Elsa von Brabant), Elias Gyunseok Han (Friedrich von Telramund), Nadine Lehner (Ortrud), Michał Partyka (Heerrufer)

Besuchte Aufführung: 15. September 2024 (Premiere)

Kurzinhalt

Elsa von Brabant ist des Brudermordes angeklagt und hat vor dem Gericht König Heinrichs zu erscheinen, der ein Heer zum Kampf gegen die Ungarn versammelt. In ihrer Not weiß sie sich keine andere Hilfe als ein inbrünstiges Gebet. Ein Wunder geschieht: Ein Ritter, dessen Herkunft und Namen sie nicht wissen darf, erscheint und kämpft für sie gegen ihren Widersacher Friedrich von Telramund im Gotteskampf. Der unbekannte Ritter trägt den Sieg davon und erringt damit die Hand Elsas. Telramunds Gattin Ortrud, eine heidnische Zauberin, die Elsas Vertrauen erschleicht, sät Zweifel an der Herkunft des unbekannten Ritters, die Elsa schließlich dazu bringen, ihm in ihrer gemeinsamen Hochzeitsnacht die verbotenen Fragen zu stellen. In dem Moment schlägt ein Mordversuch Telramunds fehl, der von Elsas Gatten im Brautgemach erschlagen wird. Er gibt ihr und dem zum Krieg versammelten Heer nach Tagesanbruch Auskunft: Von Montsalvat, der Burg, in der der heilige Gral aufbewahrt wird, ist er zu Elsas Rettung gekommen und der Sohn des Herrschers über die Gralsritter. Sein Name ist Lohengrin und Elsas vermißter Bruder Gottfried von Ortrud in einen Schwan verwandelt worden. Da seine Herkunft bekannt geworden ist, muß er zu den Gralsrittern zurückkehren und nimmt Abschied von Elsa. Ortrud triumphiert, doch Lohengrins Gebet macht ihren Zauber rückgängig. Während das Volk staunend den Brabanter Thronfolger begrüßt, sinkt Elsa vernichtet nieder.

Aufführung

Zum Vorspiel zeigen sich Reflexe von großen Spiegelscherben auf dem geschlossenen Vorhang, bis beim Tutti des Vorspiels Lohengrin einem Spiegelscherbenhaufen entsteigt. Der erste und zweite Aufzug spielen in einer runden holzgetäfelten Halle. An den Wänden hängen alte Schwarz-Weiß-Portraits, der Chor ist formell und dezent gekleidet wie auch die eleganten Herrscher König Heinrich, Telramund und Ortrud. Einzig Elsas rote Lederjacke und ihr träumerischer Habitus stechen aus der Gruppe heraus. Als Anklage gegen sie erhoben wird, spielt sie scheinbar geistesabwesend mit den Scherben und verteilt die unter den Choristen. Lohengrin bricht aus einem der Portraits heraus, mit Spiegelmaske und im silbernen Anzug. Er kämpft gegen einen Bürokraten-Telramund, der sich hinter einem Schreibtisch mit Aktenbergen verschanzt, zerreißt die Papiere und löst damit eine Revolution aus: Das Volk macht sich über die Akten her und zerstört die Bilder an den Wänden. Im zweiten Akt sieht man das Nachspiel des Bildersturms: Telramund und Ortrud suchen in den herumliegenden Fetzen nach Dokumenten und spinnen ihre Intrige. Auch die vier brabantischen Edlen suchen in den Papieren, werden aber vom mittlerweile fanatisierten Volk überrascht, mißhandelt und als Verräter gebrandmarkt. Das Volk wird bei der Ankunft des Paares Elsa-Lohengrin von den Brautjungfern auf die Knie gezwungen. Im dritten Aufzug ist Lohengrins und Elsas Herrschaft vollends in eine Diktatur übergegangen. Das Volk trägt einheitliche Anzüge, der Saal ist eine löcherige Ruine, in der man dem (Schwanen-)Ei als Symbol huldigt und mit brennenden Fackeln auf die Ankunft der Herrscher wartet. Zuvor hat Lohengrin in der Brautgemachsszene verzweifelt begriffen, daß ihm sowohl das Vertrauen Elsas als auch die Kontrolle über den Umsturz, den er ausgelöst hat, entglitten sind. Zornig zieht er sich zurück, worauf seine Revolution in blanke Anarchie ausartet. Das Volk ergeht sich in einem Blutbad, dem nur Elsa entkommt, ihr kleiner Bruder Gottfried hingegen nicht.

Sänger und Orchester

Die Interpretation des Vorspiels durch die Bremer Philharmoniker unter Stefan Klingele gab die musikalische Richtung vor: Geradlinig, transparent und eher fest im Tempo, ohne romantischen Gefühlsüberschwang. Das heißt nicht, daß es nicht kraftvoll zur Sache gegangen sei, im Gegenteil: Laut war es in den starken Chorpassagen, aber nicht lärmend, und trotz der überwältigenden Klangmasse in den Tuttis wahrte der Dirigent immer die Kontrolle über die klangliche Balance zwischen Orchester und Bühne. Die Sänger kamen mit den Tempi gut zurecht, die vom Orchester begleiteten Aktionen ergaben eine konzentrierte szenisch-musikalische Einheit und nirgends ließ die Spannung der musikalischen oder szenischen Interpretation auch nur einen Moment lang nach.

Die Spannung auf der Bühne war dabei nicht gespielt. Der junge Tenor Christopher Sokolowski debütierte an diesem Abend in der Titelrolle und gab darstellerisch und sängerisch Alles. Klingt seine recht dunkle Tenorstimme in den mittleren Lagen eher pastos, so strahlen das hohen A in seiner Gralserzählung so wie sein gesamtes hohes Register. Die Textgestaltung war detailliert mit zahlreichen klanglichen Modifikationen und Akzenten. Sein Lohengrin ist kein übermenschlicher mythischer Held, sondern ein bemerkenswert unsicherer Charakter. Verglichen mit ihm und Elsa – solide und eher zurückhaltend gesungen und gespielt von Sarah-Jane Brandon –, die ein recht chaotisches Paar abgeben, wirken Ortrud und Telramund seriös und elegant. Nadine Lehner (Ortrud) hat eine ausgeglichene Stimme mit großer Durchschlagskraft und eine klare Aussprache. Ihre Ortrud ist kühl und berechnend und sie verkörpert die alte Ära der Ordnung und Besonnenheit, die von Lohengrin über den Haufen geworfen wird. Interessanterweise wird sie dadurch zu einer Identifikationsfigur und ihr Tod am Ende symbolisiert den endgültigen Untergang einer ehemals stabilen Weltordnung. Elias Gyunseok Han gibt einen überaus leidenschaftlichen Friedrich von Telramund. Seine Stimmtechnik ist hervorragend für diese Partie geeignet, denn sie kombiniert einen voluminösen Klang mit einer gestochen scharfen Diktion, die jeglichen Blick auf die Übertitel überflüssig macht. Der König Heinrich von Hidenori Inoue war darstellerisch gelungen und sein Stimmumfang deckt alle Register dieser Partie. Allerdings war im Vergleich mit Han seine Aussprache etwas undeutlich und seine Stimme etwas blaß. Michał Partyka gibt einen unheimlichen Heerrufer, schauspielerisch statuarisch so wie es der Rolle geziemt.

Fazit

Vielleicht hat die Beschreibung der Inszenierung fälschlicherweise den Eindruck erweckt, es handele sich hier um eine dem originalen Stoff übergestülpte Modernisierung. Dem ist ganz und gar nicht so. Von allen Werken Wagner ist der Lohengrin das am schwersten zu inszenierende, denn in ihm sind sowohl eine politische als auch eine menschliche Handlung eng miteinander verflochten, symbolisieren und reflektieren einander. Hinzu kommt die nahezu unlösbare Aufgabe, ein Wunder auf die darzustellen und den nationalistischen Furor dieses Werkes aus dem Vormärz angemessen auszulegen, ohne ins unfreiwillig Komische abzugleiten oder in reine Ironie zu verfallen. Lohengrin ist zugleich die Geschichte einer gescheiterten Revolution und einer tragisch endenden Liebesbeziehung und nichts anderes stellt der Regisseur mit seinem Team konsequent auf die Bühne, ohne daß sich Unstimmigkeiten ergeben. Selten dürfte eine Inszenierung von Wagners romantischer Oper derart geglückt sein wie an diesem Abend in Bremen. Es gelingt ihr nicht zuletzt durch die intensive und originelle Personenregie, all die Ambivalenzen und Widersprüche, die Wagner seinem Stoff mitgegeben hat, herauszustellen. Besonders erfreulich ist, daß das nicht auf Kosten der musikalischen Interpretation geschieht. Den Sängern und dem Orchester wird der Raum gegeben, den sie brauchen, und die physische Wucht der Musik wird geschickt genutzt, um das szenische Erlebnis zu steigern.

Die Bremer Theatersaison beginnt mit einem veritablen Paukenschlag und einer Produktion, die den Vergleich mit den großen Häusern nicht zu scheuen braucht. Jedem sei ein Besuch wärmstens ans Herz gelegt, gleichgültig ob man ein Opernneuling oder erfahrener Besucher, ein Wagneranhänger oder -skeptiker ist. Hier erwartet Sie eine tadellose musikalische Wiedergabe und eine so schlüssige wie packende Inszenierung.

Dr. Martin Knust

Bild: Jörg Landsberg

Das Bild zeigt: Sarah-Jane Brandon (Elsa von Brabant), Christopher Sokolowski (Lohengrin)

 

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