Ariadne auf Naxos – Hamburg, Staatsoper

von Richard Strauss (1864–1949), Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel, Libretto von Hugo von Hofmannsthal

UA: 4. Oktober 1916, Wiener Hofoper

Regie und Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov, Kostüme: Elena Zaytseva, Licht: Gleb Filshtinsky, Video: Tieni Burkhalter, Dramaturgie: Angela Beuerle, Michael Sangkuhl, Tatiana Werestchagina

Dirigent: Kent Nagano, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Solisten: Wolfram Koch (Theseus), Anja Kampe (Ariadne), Nadezhda Pavlova (Zerbinetta), Jamez McCorkle (Bacchus), Martin Gantner (Musiklehrer), Ella Taylor (Komponist), Michael Heim (ein Offizier), Peter Tantsits (Tanzmeister), Grzegorz Pelutis (Perückenmacher), Hubert Kowalczyk (betrunkener Gast), Björn Bürger (Harlekin), Florian Panzieri (Scaramuccio), Stephan Bootz (Truffaldin), Daniel Kluge (Brighella), Olivia Warburton (Najade), Aebh Kelly (Dryade), Marie Maidowski (Echo), Georgiy Dubko (der Pianist)

Besuchte Aufführung: 26. Januar 2025 (Premiere)

Kurzinhalt

Prolog: Der reichste Mann Wiens hat zum Diner geladen und zwei Theatergruppen engagiert. Die eine soll eine Opera seria, die andere eine Commedia dell’arte aufführen. Der Komponist stört sich daran, daß seine ernste Oper Ariadne auf Naxos vor der Komödie gegeben werden soll. Die Darsteller beginnen sich zu streiten als der Haushofmeister eintritt und ankündigt, daß beide Stücke gleichzeitig gespielt werden müssen, damit das Feuerwerk pünktlich stattfinden kann. Indigniert verläßt der Komponist das Haus.Oper: Die verzweifelte Ariadne ist von Theseus allein auf Naxos zurückgelassen worden. Zerbinetta und ihre vier Verehrer treten auf, gefolgt von einem Fremden, den Ariadne fälschlicherweise für Merkur hält, den Verkünder des Todes. Tatsächlich handelt es sich bei ihm jedoch um Bacchus, der gerade der Zauberin Circe entkommen ist. Irrtümlicherweise hält er Ariadne auch für eine Zauberin, verliebt sich in sie und Ariadnes Todesverlangen weicht schließlich ihrer Liebe zu ihm.

Aufführung

Die Bühne zeigt ein üppig eingerichtetes Wohnzimmer im Stil der Jahrhundertwende. Die dunkelblauen Wände sind mit goldenen Ornamenten verziert. Einzig die Amphoren in den Regalen stellen einen direkten Bezug zur mythischen Vorlage her. Ariadne und ihr Mann Theseus, die hier wohnen, haben Freunde und Familie zu sich zum Fest eingeladen. Zwischentitel geben Aufschluß über die Familienverhältnisse: Zerbinetta ist eine Cousine Ariadnes, die Najade die Frau des Musiklehrers und der wiederum Ariadnes Vater. Als Theseus ankündigt, daß die Oper Ariadne auf Naxos vor der Commedia dell’arte gespielt werden soll, regt sich Unmut und die Gäste beginnen, sich in leeren Gesprächen über Kunst und ihrem vermeintlich hohem oder niedrigem Wert zu ergehen. Die zahlreichen Charaktere bewegen sich fast schon ballettartig elegant und geben den Eindruck eines geglückten Vaudevilles, als plötzlich das Unheil hereinbricht: Theseus kündigt an, daß beide Werke gleichzeitig gespielt werden sollen und bricht darauf tot zusammen. Der Vorhang fällt.

Die Handlung der Oper setzt ein paar Tage später ein. Während des kurzen Orchestervorspiels betrachtet Ariadne den Sarg, in dem Theseus liegt. Ihr Cocktailkleid hat sie gegen ein unscheinbares T-Shirt, Hosen und einen beigen Regenmantel eingetauscht. Statt einer Phantasiewelt sehen wir eine trauernde Witwe. Der Vorhang fällt wieder, der Text „Zwei Monate später“ wird eingeblendet, und als der Blick auf die Bühne freigegeben wird, sieht man statt des Sargs einen Konzertflügel. Harlekin, Scaramuccio, Truffaldin, Brighella, die Freunde des Musiklehrers, treten gemeinsam mit Zerbinetta auf, die versucht, ihre trauernde Cousine aufzumuntern. Die beiden langen Monologe Zerbinettas und Ariadnes, die diesen Teil des Werkes prägen, werden von parallel stattfindenden Handlungen begleitet: Zerbinettas Begleiter tanzen einen Reigen, spielen auf unechten Instrumenten aus Plastik und führen andere klischeehafte Aktionen aus. Überzeugender ist da der Pianist, der Zerbinetta begleitet. Obwohl stumm, wird diese Rolle zu einem festen Bestandteil der Handlung und schwankt zwischen Barklavierspieler und Zerbinettas ehemaligem – oder zukünftigen – Liebhaber.

Die Nymphen Dryade, Echo und Najade – die als Schwester des Musiklehrers Ariadnes Tante ist – kündigen Bacchus‘ Ankunft an, dessen Treffen mit Ariadne Zerbinetta als ein Blind date organisiert hat. Bacchus trägt seine Arie „Circe, Circe, kannst du mich hören?” unbeholfen vor und versteht nicht so recht, was eigentlich geschieht. Von Ariadnes Schönheit berückt, glaubt er, sie sei eine gefährliche Zauberin, und sie meint im ersten Augenblick irrtümlich, Theseus sei wiedergekehrt, denn Zerbinetta hat ihm die Kleidung ihres verstorbenen Gatten gegeben. Ariadne versucht daraufhin zu glauben, er sei Hermes und werde ihr den erlösenden Tod ankündigen. Beide fühlen sich zueinander hingezogen und Zerbinetta dreht das Portrait des toten Theseus um, das Ariadne plötzlich ergreift und küßt. Bacchus hingegen küßt die Noten der Arie, die er gesungen hat. Beide glauben ihre ehemaligen Partner wiedergefunden zu haben. Die Oper endet mit einer vollständigen Rotation der Drehbühne. Alle Figuren schauen aus dem Wohnzimmerfenster und betrachten das Feuerwerk – oder den Ausbruch des ersten Weltkrieges? Abschließend wird ein leeres Zimmer gezeigt mit eingeblendetem, kommentierendem Text: Ariadne auf Naxos ist das Dokument eines Zeitalters, das 1914 untergegangen ist und in dem alle Handlungen und Spiele am Abgrund stattgefunden haben.

Sänger und Orchester

Der rüpelhafte Theseus – im Original der Haushofmeister – ist die einzige Sprechrolle und wird von Wolfram Koch gespielt, der seinen Text rhythmisch nicht immer exakt vortrug, womit er aus dem Ensemble herausstach. Zerbinettas „Großmächtige Prinzessin“, mit der sie wie üblich Ariadne die Show stiehlt, kam gut an und Nadezhda Pavlova wurde für ihren Vortrag dieser Arie vom Publikum sogleich lautstark gefeiert. Ihre Rolle ist nicht so komplex wie diejenige der Ariadne, in welcher Anja Kampe vollkommen überzeugend die Verwandlung der todessehnsüchtigen Witwe zu einer Frau, die bereit für eine neue Liebe ist, zeigt. Die höchsten Töne ihrer Partie klangen angestrengt und in der Tiefe ist ihre Stimme bisweilen zu schwach. Ella Taylor gab eine hervorragende und einfühlsame Interpretation der Rolle des Komponisten. Jamez McCorkles breites stimmliches Spektrum und warmes Timbre passten gut zu der Rolle des Bacchus, dessen Figur hier deutlicher hervorgehoben wurde als in anderen Produktionen, in denen er eher im Schablonenhaften bleibt. Das Commedia dell’arte-Quartett (Björn Bürger, Florian Panzieri, Stephan Bootz, Daniel Kluge) und das Trio der Nymphen (Olivia Warburton, Aebh Kelly, Marie Maidowskil) klangen ausgeglichen und ansprechend. Die Musik dieser Oper wechselt zwischen kammermusikalischen und reich orchestrierten Abschnitten. In ersteren fehlte es dem Philharmonischen Staatsorchester bisweilen an Präzision. Die Wiedergabe dieser Kontraste ließ Kent Naganos Interpretation etwas gehemmt erscheinen. Auch hätten ein paar Tuttis leiser gespielt werden können.

Fazit

Tcherniakov bürstet die Handlung der Ariadne gegen den Strich: Es gibt keine Oper in der Oper, keinen Bruch zwischen Schauspiel und Leben, sondern das Leben wird zum Schauspiel. Diese Produktion schließt an seine beiden vorangegangenen Hamburger Inszenierungen von Strauss-Opern, nämlich der Salome und Elektra, an, in denen Familienverhältnisse und Beziehungen zwischen den Protagonisten im Mittelpunkt stehen, die mitunter vom Regisseur selber eingebracht werden. Mit kleinen, geschickten Änderungen der Handlung – etwa des Ersetzens des Haushofmeisters mit Theseus – gelingt ihm eine neue Interpretation des Librettos, ohne dessen Originalhandlung allzu stark zu verbiegen. Das Publikum feierte die Aufführung mit stehenden Ovationen. Für Pavlovas Interpretation der Zerbinetta gab es am meisten Beifall, und auch Anja Kampes Ariadne stieß auf großen Zuspruch. Die Sänger sind beeindruckend, nicht zuletzt in ihrem gekonnten darstellerischen Spiel. Eine hochkarätige Produktion!

Prof. Jacqueline Waeber, (Übersetzung: Dr. Martin Knust)

Bild: Monika Rittershaus

Das Bild zeigt: Nadezhda Pavlova (Zerbinetta), Martin Gantner (Musiklehrer), Wolfram Koch (Theseus), Florian Panzieri (Scaramuccio), Ella Taylor (Komponist), Michael Heim (ein Offizier), Peter Tantsits (Tanzmeister), Komparserie

Rezension auf Englich

Staatsoper Hamburg

Ariadne auf Naxos

von Richard Strauss (1864-1949), Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel, Libretto von Hugo von Hofmannsthal

UA: 4. Oktober 1916, Wiener Hofoper

Regie und Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov, Kostüme: Elena Zaytseva, Licht: Gleb Filshtinsky, Video: Tieni Burkhalter, Dramaturgie: Angela Beuerle, Michael Sangkuhl, Tatiana Werestchagina

Dirigent: Kent Nagano, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Solisten: Wolfram Koch (Theseus), Anja Kampe (Ariadne), Nadezhda Pavlova (Zerbinetta), Jamez McCorkle (Bacchus), Martin Gantner (Musiklehrer), Ella Taylor (Komponist), Michael Heim (ein Offizier), Peter Tantsits (Tanzmeister), Grzegorz Pelutis (Perückenmacher), Hubert Kowalczyk (betrunkener Gast), Björn Bürger (Harlekin), Florian Panzieri (Scaramuccio), Stephan Bootz (Truffaldin), Daniel Kluge (Brighella), Olivia Warburton (Najade), Aebh Kelly (Dryade), Marie Maidowski (Echo), Georgiy Dubko (der Pianist)

Besuchte Aufführung: 26. Januar 2025 (Premiere)

Kurzinhalt

Prologue: dinner time at the home of the richest man in Vienna. Two theatrical troupes are rehearsing an opera seria and a commedia dell’arte spectacle, both to be performed later that evening. The Composer is dismayed upon learning that his opera Ariadne auf Naxos will have to be performed before a buffa comedy. While seria singers throw tantrums, the buffa comedians take advantage to sow discord. The Majordomo announces that in order to finish on time with fireworks in the garden, both plays will have to be performed simultaneously. Refusing to see his score disfigured by buffa elements, the Composer leaves the house in utter discontent.

Opera: Ariadne, despaired, is abandoned by Theseus on the island of Naxos. Zerbinetta and her four acolytes arrive unexpectedly, then a stranger, whom Ariadne mistakes for Mercury, the messenger of death. It is actually the god Bacchus; fleeing the bewitchments of Circe, he mistakes Ariadne for another magician. But Bacchus can’t fight his amorous feelings for Ariadne, while she finally abandons her longing to death for love.

Aufführung

The unique stage set consists in an opulent bourgeois fin-de-siècle living room, its deep blue walls filled with golden ornaments. Only the amphorae on shelves remind us of the “origins” of the owners, Ariadne and her husband Theseus, who have invited their family and friends for a celebration of conjugal love. Zerbinetta is a cousin of Ariadne, Najade the sister of the Music Master, himself the father… of Ariadne (these details, not from the original libretto, are suggested by the intertitles projected during the opera, and the program gives a detailed family tree). Following the uproar caused by Theseus’ first announcement that the opera Ariadne of Naxos will have to be performed before the commedia dell’arte play, we observe an elegant and refined society losing itself in vain amusements and futile debates on the respective merits of “high” vs.”low” art. The movements of the numerous characters on stage are quasi balletic and have the fluidity of a good vaudeville. But drama unexpectedly rears its head when Theseus announces that both plays will be performed simultaneously. These words barely uttered, he collapses, dead. Curtain.

The Opera part begins “a few days later”: its brief instrumental introduction shows us Ariadne watching over the coffin where Theseus lies. She has swapped her cocktail dress from the prologue for a non-descript black t-shirt and trousers, and a beige raincoat: we are not in the fantasy world of opera but in the daily life of an inconsolable widow. The curtain falls again, then raises with the indication “two months later”: the coffin has made way for a grand piano. Accompanied by her friends Harlekin, Scaramuccio, Truffaldin, Brighella (former students of the Music Master), Zerbinetta tries to cheer up her cousin and convinces her that she’ll find love again. Dominated by the two long monologues of Ariadne and Zerbinetta, this part requires some parallel stage action. Zerbinetta’s four companions throw cotillions, play on fake plastic instruments and other clichéd actions. More original is the presence on stage of the pianist during Zerbinetta’s monologue, coalescing in a full role, however silent, who oscillates from a bar pianist to a former (or future?) lover of Zerbinetta…

Announced by the nymphs (Dryade, Echo and Najade, herself the sister of the Music Master, and therefore Ariadne’s aunt), the arrival of Bacchus has been prepared by Zerbinetta like a “blind date”. Clumsily deciphering his aria “Circe, Circe, kannst du mich hören?” Bacchus does not seem to understand what is happening. Entranced by Ariadne’s beauty, he believes she’s a dangerous magician, while Ariadne first believes that Theseus has returned (Zerbinetta and the nymphs have made Bacchus wear the jacket, scarf and hat of the deceased). She then convinces herself that it is Hermes who has come to announce her death, thus bringing her deliverance. However, the attraction between both proves irresistible. Zerbinetta discreetly turns the picture of Theseus on the shelf against the wall, but Ariadne then takes the portrait and kisses it, while Bacchus kisses the music sheet on which he had deciphered his aria to Circe. Bacchus believes he loves a new Circe, Ariadne a new Theseus: but who cares, if they’re both happy?

Ariadne auf Naxos ends with a complete rotation of the entire stage: all characters face us, looking through the windows of the living room, as if now watching those promised fireworks. But perhaps they also watch the terrible premisses leading to 1914. Ending its rotation by going back to its starting point, the stage reveals, as a final image, the room now empty, with a last commentative action of the subtitles: Ariadne auf Naxos, written on the eve of World War I, is also the testimony of a world that is no more, where “all [its] actions and games [were] at the edge of the abyss.”

Sänger und Orchester

The only spoken role in the opera (the Majordomo in the original libretto) is the boorish husband Theseus. Wolfram Koch’s spoken interpolations did not always find the right rhythm, failing to fully coalesce with the musical continuity of the ensemble. The usual show stealers of Ariadne, Zerbinetta and her aria “Großmächtige Prinzessin”, did not disappoint: the audience gave to Nadezhda Pavlova a triumphal ovation at the end of her aria. But her role does not have the dramatic complexity of Ariadne’s. Anja Kampe totally convinces in the portrayal of a woman who goes through a journey from awaiting death to fully embracing a new love. Vocally, her highest notes seemed strained, while her lower register sounded weak at times. Ella Taylor was exceptional in her inhabited and vibrant interpretation of the Composer. Jamez McCorkle’s vocal generosity and warm timbre matched the role of Bacchus, bringing a real presence to a character often reduced to a silly silhouette. The commedia dell’arte quartet (Björn Bürger, Florian Panzieri, Stephan Bootz, Daniel Kluge) and the nymphs’ trio (Olivia Warburton, Aebh Kelly, Marie Maidowskil) were remarkably homogeneous and delightful to hear. The score of Ariadne alternates chamber textures with more richly orchestrated passages: the Philharmonisches Staatsorchester sometimes lacked precision in the former, while Nagano’s direction felt a bit restrained in the rendering of these contrasts; some of the largest tutti could also have been less loud.

Fazit

Tcherniakhov’s Ariadne is against the grain: no “opera within the opera”, no high vs. low art, no break between life and spectacle, since life is a spectacle. Ariadne is aligned with Tcherniakhov’s two previous Straussian productions in Hamburg (Salome and Elektra), in which family relationships between protagonists are emphasized, here going as far as creating new ones: a smart move that went off the beaten track and that required, without much libretto twisting, the transformation of the original role of the Majordomo into the one of Theseus (absent in Hofmannsthal’s libretto).

The audience gave a standing ovation to the performance, its loudest bravi for Pavlova’s Zerbinetta, then Anja Kampe’s Ariadne. With its remarkable vocal cast, exuberant acting, this is a production of an exceptionally high calibre.

Prof. Jacqueline Waeber

Bild: Monika Rittershaus

Das Bild zeigt: Nadezhda Pavlova (Zerbinetta), Martin Gantner (Musiklehrer), Wolfram Koch (Theseus), Florian Panzieri (Scaramuccio), Ella Taylor (Komponist), Michael Heim (ein Offizier), Peter Tantsits (Tanzmeister), Komparserie

 

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