von Maurice Ravel (1875–1937), lyrische Phantasie in zwei Teilen, Libretto von Sidonie-Gabrielle Colette; deutsche Übersetzung von Werner Hintze und Bettina Bartz, UA: 21. März 1925 Monte Carlo, Monaco
Konzept und Video: Grégoire Pont, Inszenierung: James Bonas, Bühne und Kostüme: Thibault Vancraenenbroeck, Licht: Christophe Chaupin, Videoeinrichtung: Xavier Boyer, Dramaturgie: Martin Lühr
Dirigent: Elias Grandy, Sächsische Staatskapelle Dresden, Sinfoniechor Dresden und Extrachor der Staatsoper Dresden, Einstudierung: Jan Hoffmann
Solisten: Nicole Chirka (Kind), Michal Doron (Mutter, chinesische Tasse, Libelle), Sofia Savenko (Lehnstuhl, Eule, Fledermaus), Magdalena Lucjan (Nachtigall, Prinzessin), Jasmin Delfs (Feuer, Hirtenmädchen), Dominika Škrabalová (Hirtenknabe, Katze, Eichhörnchen), Simeon Esper (Teekanne, altes Männchen, Laubfrosch), Anton Beliaev (Standuhr, Kater), Martin-Jan Nijhof (Sessel, Baum)
Besuchte Aufführung: 16. Februar 2025 (Premiere)
Kurzinhalt
Das Kind will seine Schularbeiten nicht erledigen und beleidigt seine Mutter, die ihm deswegen Stubenarrest erteilt. Alleingelassen beginnt es zu randalieren und quält Tiere. Doch dann setzt der Zauberspuk ein: Die Gegenstände im Zimmer reden und klagen über das böse Kind. Nach der Uhr, Tasse und Teekanne, den Schäfern auf der Tapete kommt auch die Mathematikaufgabe zu Wort wie auch die Katze. Die Wände des Zimmers öffnen sich und das Kind steht im nächtlichen Garten. Auch hier beklagen sich die Tiere, darunter der Frosch, die Libelle und Fledermaus. Das Kind hat eine Libelle und eine Fledermaus getötet und beginnt, ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Die Tiere raufen sich miteinander und das Kind verbindet dem verletzten Eichhörnchen die Pfote. Damit endet der Spuk. Die Tiere freuen sich an seiner Besserung und geleiten es zu seiner Mutter zurück.
Ein Bühnenbild im traditionellen Sinne gibt es nicht. Der Saal ist sehr dunkel. Man sieht das Orchester auf der Bühne hinter einem Gazevorhang, auf den Projektionen geworfen werden. Dem Videodesign, das auch die Decke und Wände des Zuschauerraums nutzt, kommt daher eine zentrale Bedeutung zu. Die Sänger treten vor dem Orchester auf. Alle Sänger, Solisten wie Choristen, haben identische schwarze Kittel an. Mit Ausnahme der Mathematikaufgabe, bei der der Solist auf Stelzen und wie die Choristen gehörnt auftritt, haben alle Darsteller Einheitskostüme. Einzig das Kind unterscheidet sich von den übrigen durch sein Basecap. Die Projektionen werden rhythmisch auf die Musik abgestimmt. Zumeist sind sie zeichnerisch reduziert, es gibt aber auch ein paar farbige, etwa wenn das Feuer singt oder bei den Szenen im Garten. Die Darsteller haben vor allem darauf zu achten, an der richtigen Stelle der Leinwand zu stehen und ihre Aktionen genau dort auszuführen, wo die Projektionen stattfinden. Das gelang durchweg sehr gut. Zwei Gründe mögen die Veranstalter zu diesem im Grunde auf das Video reduzierten Bühnenbild mit dem Orchester auf der Szene bewogen haben: Zum einen handelt es sich hier um eine Co-Produktion von drei Opernhäusern – Dresden, Lyon und Barcelona –, die durch Europa wandert. Und zum anderen wird das oft sehr leise, kammermusikalisch filigran spielende Orchester so besser hörbar als wenn es im Orchestergraben spielen würde.
Sänger und Orchester
Elias Grandy leitete die Sächsische Staatskapelle Dresden mit Umsicht, die die Fülle der faszinierenden Klangmischungen Ravels balanciert vortrug, – soweit man sie denn gut zu Gehör bekam. Denn es traten zwei Probleme zutage: Diese Inszenierung ist als Familienproduktion gedacht und wendet sich insbesondere an Kinder ab acht Jahren – dazu unten mehr –, was dazu führt, daß es nicht so leise im Saal ist, daß alle Feinheiten der Partitur durchkommen. Ein weiteres Problem ist, daß alle Sänger mit dem Rücken zum Dirigenten und zum Orchester singen, wodurch vor allem bei den schnellen Passagen wie der Mathematikaufgabe, die ein Solo mit Chor vorsieht, Einsätze klapperten. Die Chöre sangen entweder in einer Reihe hinter den Solisten stehend oder von beiden Seiten des Orchesters. Nicole Chirka (Kind) hat den Hauptpart zu singen, was sie stimmlich ausgeglichen tut, und agiert dabei wie ein junger Knabe. Jasmin Delfs‘ (Feuer, Hirtenmädchen) Koloraturen als Feuer saßen sicher und wurden von ihr mit der nötigen Leichtigkeit gesungen. Dominika Škrabalová (Hirtenknabe, Katze, Eichhörnchen) und Anton Beliaev (Standuhr, Kater) trugen das Duett der jaulenden Katzen naturalistisch vor; Škrabalová hat als Eichhörnchen ein elegisches musikalisches Element einzubringen, was ihr gut gelang. Simeon Esper (Teekanne, altes Männchen, Laubfrosch) hat die karikierende Mathematikaufgabe und den quakenden Frosch mit den schnelle Tonrepetitionen zu singen. Das sind beides keine leichten Aufgaben und die Koordination mit dem Orchester war nicht immer hunderprozentig. Generell haben die Sänger aufgrund ihrer kurzen Partien und des ins Video verlagerten Geschehens nur wenig Möglichkeit, ihre Figuren darstellerisch näher zu charakterisieren. Bei den schnellen Passagen ist man auf die Übertitel angewiesen, da hier der Text leicht unverständlich wird. Das ist zumeist nicht der Übersetzung anzukreiden, sondern Ravels Textvertonung.
Fazit
Die Semperoper Dresden feierte den 40. Jahrestag ihrer Wiedereröffnung mit einer Produktion, die sich vor allem an Kinder richtet. Bei der Premiere wurde dieses Angebot auch dankbar angenommen: Ein erheblicher Teil des Publikums bestand aus Kindern um die zehn Jahre. Man kann sich allerdings fragen, ob gerade dieses Werk wirklich so gut als Kinderoper geeignet ist. Der Umstand, daß ein Kind die Hauptfigur und seine Entwicklung eines moralischen Bewußtseins der Kern der Handlung ist sowie die kurze Aufführungsdauer von einer guten Dreiviertelstunde mögen es dafür als passend erscheinen lassen. Doch ist die phantastische Handlung, die auf den Projektionen oft auch nur abstrakt angedeutet wurde, wie auch die komplexe, viele Anspielungen enthaltende und nicht durchweg eingängige Musik des späten Ravel nicht leicht verständlich. Mit einem gewissen Geräuschpegel im Saal, der mitunter die Feinheiten der Ravel’schen Orchestrierungskunst überdeckt, muß man hier also leben. Es gibt in diesem kurzen, etwas exzentrischen Stück viele musikalische Details zu entdecken. Die Sänger wurden gewissermaßen Teil eines lebenden Films und führten alle Aktionen akkurat vor, so daß die Projektionen überaus effektvoll wirkten. Die Interpretation der Sächsischen Staatskapelle war über jeden Zweifel erhaben.
Dr. Martin Knust
Bild: Sebastian Hoppe
Das Bild zeigt: Nicole Chirka (Kind), Anton Beliaev (Standuhr, Kater)