La Boheme
von Giacomo Puccini (1858-1924), Szenen in vier Bildern, Libretto: Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach Henry Murgers Scenes de la vie de Bohème, in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln, UA: 1. Februar 1896, Turin
Regie: Barbara Liuch, Bühne: Alfons Flores und Kostüme: Clara Valentini
Dirigent: Asher Fisch
Solisten: Sara Cortolezzis (Mimì), Victoria Randem (Musetta), Long Long (Rodolfo), Tommaso (Marcello), Liam James Karai (Schaunard), Jasurbek Khaydarov (Colline), Piotr Micinski (Alcindoro, Benoit), Peter Kirk (Parpignol) u.a.
Besuchte Aufführung: 3. Januar 2025 (Festspielhaus)
Vorbemerkung
Die Tiroler Festspiele Erl wurden 1997 gegründet, die erste Oper war 1998 Rheingold. Gustav Kuhn war der Intendant der Tiroler Festspiele Erl, er prägte die Festspiele maßgeblich als Dirigent, Regisseur, Orchester und die Chorakademie. Jetzt heißt der Präsident der Tiroler Festspiele, Hans Peter Haselsteiner. Unter seiner Egide wurden neben dem bisher genutzten Passionsspielhaus, das alle sechs Jahre für die Passionsspiele benötigt wird, noch ein Winterfestspielhaus errichtet, sowie ein kostenlos nutzbares Parkhaus mit zusätzlichen Funktionsräumen. Die Ära Kuhn ist leider etwas unrühmlich zu Ende gegangen, der enge Bezug zu Wagner im Passionsspielhaus ist allerdings geblieben, und so hat sein Nachfolger Bernd Loebe, der auch Intendant der Oper Frankfurt ist, diesen Programmschwerpunkt übernommen. Gleichwohl wurde die Zusammenarbeit mit der Oper Frankfurt intensiviert, was sich in Verbesserungen bzw. Erweiterungen im Spielplan und in den künstlerischen Besetzungen niedergeschlagen hat und auch zu Qualitätssteigerungen geführt hat. Seit Winter 2024/25 ist nun Jonas Kaufmann Intendant in Erl, er verantwortet Spielplan und Besetzung und wird zu Ostern als Parsifal selbst auf der Bühne stehen.
Die Festspiel-Häuser stehen abseits auf der grünen Wiese, wie eine Trutzburg an den Hang geklebt. Die Pausengastronomie und die Gastronomie in Erl, der „Gasthof zum Dresch“ und die „Blaue Quelle“ ist lokale Eßkultur, aber letzter sind auch Michelin-prämiert. Ein mondänes Publikum wie in Salzburg oder Bayreuth findet man hier nicht: „Hier gilt es der Kunst!“ Auch den Präsidenten Haselsteiner mit seiner Familie kann man hier am Stehtisch nebenan ganz entspannt begegnen.
Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline sind bettelarme Künstler und unzertrennliche Freunde. Sie leben unbeschwert von der Hand in den Mund in einer Mansarde über den Dächern des Pariser Künstlerviertels Quartier Latin. Rodolfo begegnet Mimì und verliebt sich in sie. Marcello erobert seine ehemalige, stets untreue Geliebte Musetta zurück. Den Weihnachtsabend verbringt man im Café Momus. Nach der Trennung von Rodolfo verschlimmert sich Mimìs Krankheit. Sie kehrt zu ihm zurück und stirbt in seinen Armen im Kreis der Freunde.
Aufführung, Sänger und Orchester
Das Festspielhaus verfügt über einen Orchestergraben, den man auch zur Bühnenerweiterung abdecken kann. Der Orchestergraben bietet ungefähr genauso viel Platz wie das Passionsspielhaus, liegt aber abgesenkt vor den nach hinten aufsteigenden Zuschauerreihen.
Die Bühnentechnik im Festspielhaus ist für einfache Produktionen ausgelegt und auch diese La Boheme ist quasi ein Opfer dieser Auslegung. Wer eine Inszenierung mit viel Bewegung – besonders im zweiten Bild – oder ein großer Tor-Platz im dritten Bild erwarten sollte, muß seine Erwartungen reduzieren. Eigentlich trägt diese einfache Handlung auch eine einfache Bühnenumsetzung:
Die Umsetzung erfolgt mit einem einfachen universellen Bühnenbild. Mittels eines Vorhangs wird ein geschlossener Raum auf die Bühne gestellt, einzig eine Türe macht den Raum erkennbar. Auf den Vorhang lassen sich Farben oder Bilder projizieren, um den Räumen der vier Bilder eindeutige Charaktere zuzuordnen. Im ersten Bild erscheint eine dunkle ungestrichene Wand, das Cafe Momus bildet ein Blumenbild mit dem Schriftzug Carrousel ab, vor dem schwarzen Tor liegt Schnee, stehen aber keine Torwächter.
Der geschlossene Raum hat ein großes Problem, es gibt keine Bewegung in den Raum hinein oder innerhalb des Raumes. Das zweite Bild spielt im Cafe Momus, es gibt keine aufziehende Wache, keine spielenden Kinder, nur herumstehende Statisten – ihre genaue Aufgabe erkennt man erst im Licht des Applauses. Diese Bewegungslosigkeit überzeugt erst in der Sterbeszene im vierten Bild.
Das Dirigat von Asher Fish will nicht recht überzeugen. Wenig Dynamik in den Tempi, gerade die herzergreifenden Momente entstehen nicht für die Puccini bekannt ist. So gibt es im ersten Bild eigentlich nur ein Händchenhalten und keine Liebesszene. Dabei hätten alle Solisten Eigenschaften, um herausragende Rollenbilder abzuliefern. Sara Cortolezzis hat für die Mimì eine schöne seidenweiche lyrische Stimme, beim Liebestod wirkt sie etwas allein gelassen. Anderes Vorzeichen gilt für Long Long: er gibt den Rodolfo als schwerer italienischer Tenor mit hoher Durchschlagskraft, er sorgt stimmlich für Aufmerksamkeit und Victoria Randem macht aus der Musetta mit ihrer jugendlichen schlanken Stimme eine weitere Hauptrolle des Stückes, Tommaso Barea (Marcello) ist ein schwerer dunkler wohltönender Baßbariton – allerdings hier zurückhaltend unauffällig, Jasurbek Khaydarov kann mit der Mantelarie des Colline zurecht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Fazit
Erl steht für Askese, für schlichte und glamourfreie Vorstellungen, für eine Pilgerfahrt zur Rückbesinnung auf das „Gesamt-Kunst-Werk“ Oper. Die Inszenierungen sind einfach (auch im neuen Festspielhaus kommt man mit einer Handvoll Bühnentechniker aus), das Bühnenbild schlicht, die Inszenierungen „bezahlbar“, den Sängerzirkus mit großen Namen wird man in Erl nicht erleben. Genauso wenig ein mondänes Publikum. Das fachkundige Publikum spendet am Ende einheitlichen, teils heftigen Jubel, im Fokus stehen hierbei Solisten, Orchester und Chor.
Oliver Hohlbach
Bild: Xiomara Bender
Das Bild zeigt: Long Long (Rodolfo), Tommaso (Marcello), Liam James Karai (Schaunard), Jasurbek Khaydarov (Colline), Ensemble
I Puritani
von Vincenzo Bellini (1801–1835), Opera seria in drei Akten, Libretto Carlo Pepoli, UA: 24. Januar 1835 Paris, Théâtre-Italien
Konzertante Aufführung in italieneischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Dirigent: Lorenzo Passerini
Solisten: Lisette Oropesa (Elvira), Levy Sekgapane (Lord Arturo Talbo), Giorgi Manoshvili (Sir Giorgio), Mattia Olivieri (Sir Riccardo Forth), Peter Kirk (Sir Bruno Roberton), Pawel Horodyski (Lord Valton), Emilia Rukavina (Enrichetta di Francia)
Besuchte Aufführung: 4. Januar 2025 (Festspielhaus)
Mitten in Bürgerkrieg der Puritaner gegen die königlichen Stuarts im England des 17. Jahrhunderts, liebt Elvira, die Tochter des Puritaner Führers Lord Walton, den königstreuen Lord Arturo Talbot. Als Enrichetta, die Witwe des hingerichteten Königs, als Gefangene nach London gebracht und dort auch hingerichtet werden soll, gelingt es Arturo, sie zu retten und in Sicherheit zu bringen. Das geschieht am festgesetzten Hochzeitstag, mit Hilfe des Puritaners Sir Riccardo, der auch Elvira liebt. Dieser kann ihr nun einreden, daß Arturo sie wegen einer anderen Frau verlassen hat, worauf Elvira aus Verzweiflung den Verstand verliert. Arturo wird vom Parlament zum Tode verurteilt. Aus Liebe zu Elvira kehrt er dennoch nach England zurück und kann seiner Braut gerade noch die Gründe seiner plötzlichen Abreise erklären, bevor er festgenommen wird. Schließlich bringt ein Bote die Nachricht vom endgültigen Sieg der Puritaner und verkündet die Amnestie für die Königstreuen. Diese gute Nachricht bewirkt Elviras Heilung und der Hochzeit steht nichts mehr im Wege.
Aufführung, Sänger und Orchester
Eine konzertante Aufführung im Festspielhaus zeigt eine Orchesterbestuhlung auf der Bühne, die Solisten davor im Halbkreis um das Dirigentenpult und sonst nichts. Im Falle von I Puritani ist der Verzicht auf eine Inszenierung von Vorteil, denn ein Bühnengeschehen ist fast nichts vorhanden, die Arien und Dialoge Beschreiben die inneren Vorgänge der Protagonisten und fassen die Handlung zusammen. Bellini ist italienischer Belcanto und Erl hebt mit den Puritanern ein zentrales Werk des Belcantos auf die Bühne. Die zentrale Frage ist nun, ob die Solisten den hohen Anforderungen an den Belcanto gewachsen sind. Lisette Oropesa ist kurzfristig in die Produktion als Elvira eingestiegen und kann mit bester italienischer Artikulation bezaubernd mühelos die strahlende Höhe und mühelos geschmeidig gestaltete Koloratursopran-Arien stemmen: O rendetemi la speme – Oh gebt mir die Hoffnung wieder. Mit Levy Sekgapane als Arturo steht ein lyrischer Belcanto-Tenor auf der Bühne, der sich mit vornehmer dramatischer Verve in die vokalen Herausforderungen seiner Partie stürzt, so gut, daß seine Arie A te, o cara – Zu dir, Geliebte ein bewegender Erfolg beim Publikum wird. Der tief fundierte Baß Giorgi Manoshvili als (Onkel) Sir Giorgio kann auch in tiefsten Tiefen überzeugen. Mattia Olivieri als Riccardo ist ein ausdrucksstarker Bariton, der über ein sehr breites Register verfügt. Der Tenor Peter Kirk als Sir Bruno Roberton, Pawel Horodyski als Lord Valton und Emilia Rukavina als Enrichetta können in den solide gebotenen Nebenrollen nur kurz Aufmerksamkeit erregen.
Lorenzo Passerini hat sich über den Barock die entsprechenden Italiana erarbeitet und natürlich das Gefühl für den Belcanto. Er dürfte damit der Vater des Erfolges sein, denn er führt Solisten, Chor und Orchester zusammen und es ist eine Freude zuzuhören, wie geschmeidig das Ensemble den flexiblen Belcanto-Linien folgt. Das Orchester der Tiroler Festspiele entwickelt ein entsprechendes Klangverständnis, genauso wie der wahrlich exakt exzellente Chor.
Fazit
Für die Tiroler Festspiele in Erl war es ein Wagnis mit wenig Erfahrung sich in die Tiefen des Belcantos zu wagen. Es waren aber keine Untiefen, sondern wahre Glücksmomente für alle Beteiligten, vor allem die Zuhörer. Viele Besucher aus München haben ihre Erfahrungen in der Vergangenheit zu Gruberovas Zeiten an der Münchner Staatsoper gemacht. Man kann sagen, daß diese Vorstellungen in Erl dem italienischen Belcanto sehr eng verbunden ist und die Untiefen des Belcantos sicher gemeistert haben. Es war eine Freude hier zuhören zu dürfen – stürmischer Applaus schon während der Vorstellung – ein bisher selten erlebtes da capo wurde „erklatscht“. Bravo!
Oliver Hohlbach
Bild: Kreativ Kartell
Das Bild zeigt: Lisette Oropesa (Elvira), Levy Sekgapane (Lord Arturo Talbo), Giorgi Manoshvili (Sir Giorgio), Mattia Olivieri (Sir Riccardo Forth), Peter Kirk (Sir Bruno Roberton)