von Alban Berg (1885–1935), Oper in 3 Akten mit 15 Szenen, Libretto von Georg Büchner
UA: 14. Dezember 1925, Oper Unter den Linden Berlin
Regie: Christiane Iven, Bühne: Guido Petzold, Kostüme: Kristina Böcher, Leitung Opernchor: Sebastian Kennerknecht, Leitung Jugendchor: Dorislava Kuntscheva, Leitung Kinderchor: Sebastian Kennerknecht, Kristina Baran und Jana Eimer, Dramaturgie: Yuri Colossale
Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau, Jugendchor des Anhaltischen Theaters Dessau, Kinderchor des Anhaltischen Theaters Dessau
Dirigent: Markus L. Frank, Anhaltische Philharmonie Dessau
Solisten: Kay Stiefermann (Wozzeck), Ania Vegry (Marie), Julian Keiner (das Kind), Torsten Kerl (Tambourmajor), Arnold Bezuyen (Hauptmann), Michael Tews (Doktor), Christian Sturm (Andres), Sophia Maeno (Margret), Clausius Muth (erster Handwerksbursche), Alexander Argirov (zweiter Handwerksbursche), David Ameln (der Narr)
Besuchte Aufführung: 1. März 2025 (Premiere)
Kurzinhalt
Der arme und seelisch instabile Soldat Wozzeck ist den täglichen Erniedrigungen seiner Umwelt schutzlos ausgesetzt: Er arbeitet als Barbier und läßt gegen Bezahlung medizinische Versuche an sich vornehmen, um Geld für seine Freundin Marie und ihr gemeinsames Kind hinzu zu verdienen. Marie wird während einer Militärparade vom Tambourmajor verführt. Nachdem Wozzeck von ihrer Untreue erfahren hat, lockt er sie in der Nacht zum Sumpf und ersticht sie, verliert dabei das Messer und ertrinkt bei der Suche danach. Das letzte Bild zeigt, wie ihr Kind von den anderen Kindern gehänselt wird.
Aufführung
Die erste Szene der Oper, in der Wozzeck seinen Hauptmann rasiert, setzt all die Mechanismen in Bewegung, die Wozzeck durch Unterdrückung undgesellschaftliche Verurteilung brechen werden: Der Hauptmann bemerkt spitz, daß Wozzeck und Marie unverheiratet und ihr Kind unehelich ist. Guido Petzolds Bühnenbild besteht aus zwei Wänden aus unterschiedlich großen, rechteckigen weißen Blöcken, welche sich über die Szene in ihrer gesamten Breite und die rechte Seite erstrecken. Mitunter werden sie komplett oder teilweise angehoben, wodurch der Lichteinfall verändert wird und eine bedrückende Atmosphäre geschaffen wird, die Wozzecks soziale Außenseiterstellung und sein zunehmendes psychisches Ungleichgewicht versinnbildlicht. Besonders effektvoll wird dies in der Szene bei dem Doktor deutlich, der an Wozzeck zweifelhafte medizinische Experimente vornimmt (Akt I, Szene 4): Während die große Wand unten bleibt, vergrößert die gedämpfte Beleuchtung die Schatten beider Protagonisten und läßt sie deformiert und ein wenig gespenstisch auf der unebenen Wand erscheinen. Kristina Böchers Kostüme sind zeitgenössisch inspiriert: Der Tambourmajor trägt einen aufwendigen, allerdings grotesken militärischen Pelzumhang und verläßt die Szene in langen Unterhosen. Wozzecks Arbeitskleidung, bestehend aus einem bräunlichen Seidenstoff über weißer Unterwäsche, veranschaulicht seine Verletzlichkeit und seinen niedrigen Status. Sein einziger Freund Andres hat ein ähnliches Kostüm, das aber nicht durchsichtig ist. Dessen erster Auftritt in der nächtlichen Szene (Akt I, Szene 2), in welcher Wozzeck von Halluzinationen geplagt wird, führt uns an den Ort, an dem in Akt III, Szene 2 der Mord verübt werden wird. In diesen beiden Szenen wird die Wand nach oben gezogen und der Blick freigegeben auf einen dichten, in Grautönen gehaltenen Wald, der eigentlich als solcher als Kulisse genügt hätte; die im Vordergrund plazierten hübschen Farngewächse in eckigen Gefäßen hätte es von daher nicht gebraucht, weil sie lediglich von der düsteren Stimmung beider Szenen ablenken. Marie und ihre Nachbarin Margret haben ihren gemeinsamen Auftritt in Akt I, Szene 3, in welcher sie ihre Haarnetze entfernen und Arbeitshandschuhe abstreifen, so als wären sie gerade mit ihrer Schicht als Putzfrauen oder Fabrikarbeiterinnen fertig geworden. Ihre Kleider sind schrill, mit grellen Farbkontrasten und Mustern, vor allem Margrets, die Leopardenmusterstiefel mit rosafarbenen Strümpfen kombiniert. Während draußen die Militärparade stattfindet, streiten die beiden Frauen miteinander. Margret stichelt, weil sich Marie allzu sehr an den Tambourmajor heranmacht. Der Streit endet plötzlich, als Marie das Fenster zuwirft, was hier allerdings nicht sonderlich schnell und effektvoll vonstatten ging, da die Wand vollständig abgesenkt werden musste, die bis dahin halb angehoben den Blick auf die Füße der vorbeimarschierenden Soldaten freigegeben hatte. In der darauffolgenden Szene (Akt I, Szene 5) erliegt Marie dem Tambourmajor, als der ihr ein Paar Ohrringe bietet. Der Übergangscharakter dieser Szene wird durch die schwache Beleuchtung am Ende betont, in der man die Silhouetten der beiden auf der Wand erahnen kann, als der der Tambourmajor Marie von hinten überwältigt.
Der zweite Akt wird von der Kneipenszene (Akt II, Szene 4) beherrscht, in der Wozzeck vollständig begreift, daß Marie ihn hintergeht, während er sie mit dem Tambourmajor tanzen sieht. Das Gebaren der Gäste, die sich aus den niederen Volkschichten rekrutieren, zeigt in dieser bunten und leicht karnevalesken Szene das dumpfe Ertränken ihrer Untertan-Sorgen im Alkohol. Einer von ihnen trägt auf seinem T-Shirt das Motto „Problem gelöst“. In dieser schmuddeligen Atmosphäre stellt das Erscheinen das Narren eine Herausforderung für die Regie dar, der böse Vorahnungen hat („Ich riech Blut“). Sein Kostüm kontrastiert mit denen der anderen und ähnelt dem Wozzecks, es besteht aus dem gleichen durchsichtigen Material, allerdings mit schwarz-roter, leicht diabolischer Anmutung.
Der Höhepunkt der Oper ist der dritte Akt, in dem Marie ermordet wird (Akt III, Szene 2) und die Schwierigkeit für die Regie besteht darin, die dramatische Spannung bis zum Ende aufrecht zu erhalten. Nachdem er Marie getötet hat, begibt sich Wozzeck zurück in die Kneipe (Akt III, Szene 3), wo die Gäste verdächtige Blutspritzer an ihm entdecken. In Panik flieht Wozzeck zurück an den Mordplatz, um das Messer verschwinden zu lassen, findet es aber nicht und ertrinkt im selben Tümpel, in dem Maries Leiche liegt (Akt III, Szene 4). In Ivens szenischer Interpretation der Oper hat das Kind den Mord versteckt unter einer Bank mitangesehen, danach das Messer bei seiner toten Mutter entdeckt, es an sich genommen und sich anschließend entfernt. In der Schlußszene nötigen die anderen Kinder es, eines von ihnen ruft ihm grausam ins Gesicht: „Dein Mutter ist tot!“, ein anderes schlägt ihm ins Gesicht, bis es blutet. Abgestumpft oder vielleicht außerstande, zu begreifen, was geschieht, spielt das Kind Himmel und Hölle einsam hüpfend weiter.
Sänger und Orchester
Ania Vegrys (Marie) strahlender Sopran prägte den Abend: Die Szene, in der sie in der Bibel liest (Akt III, Szene 1) war der ergreifendste Moment des Abends. Kay Stiefermann interpretierte die Hauptrolle sehr schön, wenn auch seine Entwicklung vom Opfer zum Täter hätte darstellerisch besser ausgeleuchtet werden können; das mag aber auf die Regie zurückgehen. Die gekonnte Possenreißerei von Torsten Kerl als Tambourmajor, Michael Tews als unheimlichem Arzt und Arnold Bezuyen als Hauptmann hatte Züge eines Commedia-dell-arte-Spiels; hervorzuheben ist hier Bezuyens geschmeidige Stimme und die Klarheit seines Sprechgesangs. Christian Sturm in der Rolle des Andres hätte in der Nachtszene in Akt I etwas stärker das lyrische Moment hervorheben können. Die Chöre – Opernchor, Jugendchor und Kinderchor des Anhaltinischen Theaters – waren alle vorbildlich und auch Julian Keiner als Kind verdient hier lobend erwähnt zu werden in dieser sonst eher auf eine Komparsenrolle mit kurzem Gesangseinschlag am Ende beschränkten Partie. Markus L. Frank leitete die Anhaltinische Philharmonie Dessau souverän, präzise und deutlich.
Fazit
Christiana Ivens Regie zielte darauf ab, ein gesellschaftliches Muster offenzulegen, demzufolge Frauen, sobald sie männliche Dominanz in Frage stellen, Gewalt erfahren. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Ausgangspunkt eine neuartige Sichtweise auf diese Oper darstellt. Was diese Produktion hingegen durch die stumme und fast ständig anwesende Figur von Maries und Wozzecks Kind höchst anschaulich werden ließ, ist, wie diese strukturelle Gewalt sich in soziale Muster einschreibt und durch sie weitergegeben wird.
Prof. Jacqueline Waeber (Übersetzung: Dr. Martin Knust)
Bild: Claudia Heysel
Das Bild zeigt: Kay Stiefermann (Wozzeck), Ania Vegry (Marie) und Jonathan Bischoff (Kind)