von Giuseppe Verdi (1813 – 1901), Oper in vier Akten, Libretto: Joseph Méry und Camille du Locle nach Friedrich Schiller
UA: 1867, Paris
Regie: Ludger Engels, Bühne: Marc Bausback, Kostüme: Sebastian Ellrich, Dramaturgie: Juliane Votteler und Silke Meier
Dirigent: Dirk Kaftan, Philharmonisches Orchester, Chor und Extrachor des Theaters Augsburg, Choreinstudierung: Karl Andreas Mehling
Solisten: Christian Tschelebiew (Philipp II.), Ji-Woon Kim (Don Carlos), Seung-Gi Jung (Rodrigo, Marquis von Posa), Stephen Owen (Großinquisitor), Wilfried Zelinka (Mönch), Sally du Randt (Elisabeth von Valois), Kerstin Descher (Prinzessin Eboli), Cathrin Lange (Tebaldo), Jutta Lehner (Gräfin von Aremberg), Oliver Scherer (Graf von Lerma), Berit Barfred Jensen (Stimme von oben)
Besuchte Aufführung: 17. Oktober 2009 (Premiere)
Kurzinhalt
Der spanische Kronprinz Don Carlos erlebt, wie seine Braut Elisabeth, die Tochter des französischen Königs, des eigenen Vaters Frau wird, um Spanien und Frankreich zu versöhnen. Don Carlos begegnet seinem Freund Rodrigo, der ihn nachdrücklich an seine große politische Verpflichtung erinnert: den Freiheitskampf im Großreich Spanien. Die Don Carlos liebende Prinzessin Eboli schwört Rache, als er ihre Liebe nicht erwidert. Rodrigo verwickelt Carlos in die Aufstände in Flandern. Der persönliche und politische Kampf zwischen Vater und Sohn spitzt sich zu. Gerade noch rechtzeitig rettet ein Mönch den Infanten, als dieser während des Abschieds von seiner geliebten Elisabeth vom König und dem Großinquisitor überrascht wird.
Aufführung
Die Augsburger Oper spielt die vieraktige Mailänder Fassung des Jahres 1884. (Historisch korrekt wäre deswegen die Betitelung Don Carlo gewesen, was man aber leider in Augsburg ignoriert hat.) Der Vorhang geht auf, und es ist dunkel. Das schlichte Bühnenbild mit Aluwänden wird erst allmählich, in Abstimmung mit der langsam anschwellenden Musik sichtbar. Im zweiten Bild des ersten Akts dreht man eine Kamera, die das Bühnengeschehen permanent an die hintere Wand projiziert, zum Publikum, welches dadurch miteinbezogen wird. Die eng geschnittenen Kostüme sind modern gehalten. Sie sollen das beengende, kirchlich geprägte Regime symbolisieren, von dem sich die Protagonisten im Laufe der Handlung befreien. Die Akteure werden anscheinend in ihren Bewegungen von den Kostümen eingeschränkt. Den Tod Rodrigos im dritten Akt interpretiert der Regisseur frei: der sterbende Rodrigo reicht dem Prinzen nicht die Hand, wie es im Libretto steht.
Sänger und Orchester
Im ersten und zweiten Akt ist das Orchester manchmal so laut, daß sich die Sänger regelrecht dagegen ansingen müssen. Der Chor der Mönche in der ersten Szene liegt am Boden und singt aber in einer guten Balance mit dem Orchesterklang. Der Auftritt der Solisten ist vom ersten Akt an stimmlich überzeugend: Seung-Gi Jung (Rodrigo), hat einen beweglichen Bariton. Er und Ji-Woon Kim (Don Carlos) brillieren im Duett Dio che nell’alma – Gott, der in die Seele sieht mit einem durchdringenden und zugleich geschmeidigen Zusammenklang. Sally du Randt (Elisabeth) verfügt über eine Fülle stimmlicher Nuancen, im Pianissimo wie auch im Fortissimo singt sie klanglich abwechslungsreich, mit und ohne Vibrato. Dabei verkörpert sie die unglückliche, machtlose Herrscherin nachvollziehbar und begeistert das Publikum durch gut ausgeführte Koloraturen und fließende Registerwechsel. Kerstin Descher (Eboli) hat eine machtvolle und farbenreiche Mezzosopranstimme. Sie stellt die Eifersucht, reuige Offenheit und das kämpferische Herz ihrer Figur in steter Bühnenpräsenz dar. Christian Tschelebiew (Philipp) spielt und singt den unglücklichen Regenten gut. Im dritten Akt, in der Arie Ella giamai m’amò – sie liebte mich nie singt er sich seine Liebesqual mitreißend von der Seele. Nach der Pause, im dritten und vierten Akt, verläßt das Orchester den Orchestergraben und spielt auf dem hinteren Teil der Bühne weiter. Ein Vorhang läßt nur einen verschwommenen Blick zum Dirigenten und Orchester zu. Zur rhythmischen Orientierung der Solisten sind Monitore angebracht, der Dirigent muß hingegen ohne Augenkontakt sich blind auf die Sänger verlassen. Dadurch entsteht ein Kammerspiel auf der verkleinerten Bühne und ein ausgeglichenes Klangerlebnis im Zuschauerraum.
Fazit
Diese zugleich großartige und beklemmende Don Carlos-Aufführung war musikalisch gesehen ein mutiges Experiment, das geglückt ist. Das Publikum würdigte das Geschehen mit enthusiastischem Beifall. Seine Erwartungen wurden im Großen und Ganzen erfüllt, auch wenn die Modernisierung der Oper durch die Regie für viele ein Ärgernis war. Das neue Ensemble mit vielen Debütanten konnte sich behaupten, und der Neuanfang mit dem jungen Augsburger Dirigenten Dirk Kaftan wurde gefeiert.
Ruta Akelyte Hermann
Bild: A. T. Schaefer
Das Bild zeigt: Als die Inquisition die Ketzerverbrennung veranstaltet. Prinzessin Eboli ist die dritte von links. Im Hintergrund ist die vom Beamer und Überwachungskamera entstehende Echtzeitaufnahme sichtbar. Hier ist die übergroße Sally du Randt (Königin Elisabeth) mit ihrem traurigen Blick zu sehen