von Leoš Janáček (1854-1928), Oper in drei Akten, Libretto: Leoš Janáček nach Fjodor M. Dostojewskis Aufzeichnungen aus einem Totenhaus
Regie: Calixto Bieito, Bühne: C. Bieito und Philipp Berweger, Kostüme: Ingo Krügler, Dramaturgie: Ute Vollmar
Dirigent: Gabriel Feltz, Sinfonieorchester un Herrenchor Basel, Choreinstudierung: Henryk Polus
Solisten: Ludovit Ludha (Luka Kusmitsch bzw. Filka Morosow), Rolf Romei (Skuratow), Karl-Heinz Brandt (Schapkin/Kedrill), Claudio Otelli (Schischkow), Eung Kwang Lee (Alexander Petrowitsch Gorjantschikow), Fabio Trümpy (Alej), Andrew Murphy (der Platzkommandant) u.a.
Besuchte Aufführung: 8. November 2009 (Premiere)
Kurzinhalt
Alexander Petrowitsch Gorjantschikow wird als Sträfling in ein Gefangenenlager gebracht. Zwischen den beiden Gefangenen Luka Kusmitsch (alias Filka Morosow) und Skuratow bricht ein Streit aus, und Luka erzählt Alej, warum er den Mord begangen hat, für den er nun seiner Strafe verbüßt. Skuratow berichtet von seiner großen Liebe Luisa, die aber mit einem reichen Verwandten verheiratet wurde, den er aus purer Verzweiflung erschossen hat. Die Sträflinge improvisieren zwei Theaterstücke: Ein Stück über Kredil und Don Juan und eine Pantomime über eine untreue Müllerin. Das Fest endet im Streit: Gorjantschikow wird von Gefangenen provoziert und Alej verletzt. Nun erzählt Schischkow von seinem Verbrechen: Akulina war Filka Morosow zur Ehe versprochen, der wollte sie aber nicht mehr heiraten da er schon mit ihr geschlafen hatte. Schischkow heiratet sie, doch sie gesteht ihm, noch immer Filka zu lieben und wird deshalb von ihm ermordet. Schischkow erkennt im sterbenden Luka seinen Feind Filka Morosow. Gorjantschikow wird begnadigt.
Aufführung
Calixto Bieitos Lesart des Sujets raubt jedem Charakter den letzten Funken Menschlichkeit und Würde, den er vielleicht noch ins Lager gerettet hat. Eine nahezu pornographische Darstellung brutaler Gewalt, Erniedrigung und triebhafter Sexualität dominiert die Szenerie. Auf die Pflege eines kranken Adlers (eigentlich Bestandteil der Handlung), Sinnbild für menschliches Verhalten, wird hier verzichtet; dafür wird ein Flugzeug auf die Bühne gestellt, ein Symbol für Freiheit, um das man die Gefangenen tanzen läßt wie um das goldene Kalb. Die übrige Kulisse bilden kalte, abweisende Wellblechwände. Die beiden Theaterstücke innerhalb der Oper werden grotesk verzerrt: Don Juan wird zum Triebtäter, der Humor der Handlung kippt ins Morbide und Gewalttätige, übergroße Genitalien aus Gummi schmücken die Kostüme der Männer, und alles wirkt wie eine einzige große Travestieshow, die in der (nicht in der Originalhandlung vorkommenden) Vergewaltigung Alejs mündet. Einige Gefangene werden hingerichtet und bleiben in Leichensäcken inmitten des Geschehens liegen. Sprichwörtlich wird hier von der Regie über Leichen gegangen. Die abschließende Begnadigung Alexander Petrowitsch Gorjantschikows, die vom Aufsteigen des Flugzeugs begleitet wird, das bis dahin in der Mitte der Bühne steht, wird umgedeutet: Auch er wird am Ende erschossen.
Sänger und Orchester
Das einzige Individuelle, was den Inhaftierten noch bleibt, ist ihr jeweiliges persönliches Schicksal. Die Sänger interpretierten ihre Rollen eindrucksvoll und mit viel Sensibilität für den psychischen Zwiespalt und für die Frage nach Schuld und Rechtfertigung ihrer Verbrechen. Da es keine Gesangsrolle in dieser Oper gibt, in der in großen Soloabschnitten brilliert werden kann, ist die schauspielerische Ensemble-Leistung aller Akteure enorm wichtig. Mit Eindringlichkeit meisterten sie ihre Partien. Besonders zu erwähnen sind Fabio Trümpy (Alej), dessen schlanker Tenor seiner Figur jederzeit gerecht wurde, aber auch Claudio Otelli (Schischkow) mit seinem voluminösen Bariton, dem ein reiches Nuancenspektrum abverlangt wurde. Der Männerchor des Theaters Basel sowie die Statisterie agierten im perfekten Zusammenspiel mit dem guten Solistenensemble. Gabriel Feltz dirigierte ein zupackend aufspielendes Orchester: Die Balance zwischen den musikalischen Gegensätzen vermochte es herzustellen und fand für die verschiedenen Stimmungen, die diese nicht einfach zu spielende Musik transportiert, eine entsprechende klangliche Vielfalt. Das lag nicht zuletzt am Schlagwerk, das rhythmisch sicher spielte und den aggressiv-brutalen Klängen das nötige Fundament gab. Auch die Umsetzung des Volksliedhaften gelang hervorragend und verlieh der Musik etwas Authentisches.
Fazit
Diese Inszenierung ist definitiv Geschmackssache und auf Schockwirkung hin angelegt. Man sieht eine oberflächliche Deutung der Handlung, die ohne jegliche Rücksichtnahme auf die Vorlage – eine Handlung, die trotz aller Unmenschlichkeit den Glauben an das Humane zum Thema hat – aus der Oper Janáčeks eine blutrünstige und vor Gewalt strotzende Show macht. Im Gegensatz dazu bemühten sich Sänger und Orchester, der Musik den angemessenen Tiefgang zu geben, indem sie feinsinnig die unterschiedlichsten Nuancen herausarbeiteten und ihre Partien konstruktiv interpretierten.
Isabell Seider
Bild: Hans-Jörg Michel
Das Bild zeigt v.l.n.r.: Andrew Murphy (der Platzkommandant), Eung Kwang Lee (Alexander Petrowitsch Gorjantschikow), Erlend Tvinnereim (Wache), Ensemble