von André Ernest Modeste, Opéra comique in drei Akten, Libretto: Thomas d’Hèle, nach The Wonder: A Woman Keeps a Secret (1714) von Susannah Centlivre, UA: 20. November 1778, Opéra Royal, Versailles
Regie: Pierre-Emmanuel Rousseau, Bühne: Thibaut Welchlin, Kostüme: Pierre-Emmanuel Rousseau/Claudine Crauland, Licht: Gilles Gentner, Maske/Frisuren: Laure Talazac, Szenenbemalung: Antoine Fontaine
Dirigent: Jérémie Rhorer, Le Cercle de l’Harmonie
Solisten: Magalis Léger (Léonore), Claire Debono (Isabelle), Maryline Fallot (Jacinte), Brad Cooper (Don Alonze), Vincent Billier (Lopez), Frédéric Antoun (Florival)
Produktion: Centre de Musique Baroque, Versailles und Opéra Comique, Paris
Besuchte Aufführung: 10. November 2009 (Premiere, Wiedereröffnung der Oper nach Renovierung)
Kurzinhalt
Lopez will seine verwitwete Tochter Leonore unbedingt von einer erneuten Heirat abhalten, weil ihre finanzielle Einlage in seinem Geschäft verloren ginge. Leonores Freundin Isabelle flieht vor ihrem Vormund, der sie heiraten will, in Lopez Haus. Hilfe bekommt sie vom französische Offizier Florival, der die Unbekannte für Leonore hält. Als Alonze, Isabelles Bruder und Geliebter Leonores, plötzlich erscheint, versteckt Leonore Isabelle im Nebenraum. Als Alonze im Nebenraum Geräusche hört, beginnt er zu toben, da er einen Nebenbuhler vermutet. Isabelle flüchtet in den Pavillon des Gartens. Florival kommt unter dem Vorwand, einen Wechsel einlösen zu müssen, in Lopez’ Haus. Er eilt in den Garten, da er von Isabelles Aufenthalt erfahren hat. Als er bei seinem Ständchen vor dem Pavillon Leonores Namen erwähnt, glaubt Alonze, hier den Nebenbuhler anzutreffen und fordert rigoros, daß Leonore aus dem Pavillon kommen solle. Doch es erscheinen Leonore und Isabelle. Die Verwicklungen klären sich auf und einer Doppelhochzeit steht nichts mehr im Wege.
Aufführung
Die Versailler Königliche Oper gehört zu den ältest erhaltenen Bühnen, ähnlich Drottningholm (Stockholm) oder dem Rokokotheater in Potsdam. Mit der Maschinerie des 18. Jahrhunderts werden die speziell angefertigten Szenenbilder reibungslos dargeboten: Büro von Lopez, möbliert im Stil des 18 Jahrhunderts, Bibliothek mit einer Sammlung ausgestopfter Vögel und einer hellbraunen Bücherwand, bei der breite kannelierte Pilaster die Senkrechte teilen, Garten mit Pavillon. Dieser hat im sichtbaren Teil eine Bank, auf dem sich die jeweiligen Paare zum Gespräch setzten. Rechts und links eine halbhohe Ballustrade auf der (re u. li vom Pavillon) jeweils ein Pfau zu sehen ist. Der Vollmond scheint hell. Ein idealer Platz für Liebende wie mir scheint.
Sänger und Orchester
Unter Jérémie Rhorers Leitung entfacht das barocke Spezialensemble ein virtuoses Feuerwerk mit intonationssicheren Oboisten und Flötisten. Die Streicher spielen ihre häufig sehr schnellen Noten ohne jede Intonationstrübung. Auffallend perfekt hört man die Bratschen bei ihrem Solo im zweiten Ouvertürenteil. Ab und an übertönt das Orchester die Stimmen, ein kleines Manko, das die Gesamtleistung aber wenig schmälert.
Die überaus reichlich anzutreffenden Duos, das Trio oder das Quartett zeigen die Sängerinnen und Sänger auf hohem Niveau. Besonders gut gelingt der Bericht von Claire Debono (Isabelle) über ihre Flucht vor ihrem heiratswütigen Vormund. Zusammen mit den an ihrem „Schicksal“ anteilnehmenden Damen, Magalis Léger (Léonore) und Maryline Fallot (Jacinte), vollführen sie einen geradezu idealen Dreiergesang. Er ist in seiner Ausgeglichenheit, seiner Dynamik und dem lyrischen Singen der drei Damen ein Höhepunkt des Abends. Vincent Billiers (Lopez) Baßstimme entspricht in Sonorität und Linienführung seiner Rolle. Die Tenöre Brad Cooper (Don Alonze) und Frédéric Antoun (Florival) sind in ihrer Stimmführung, besonders beim Registerwechsel (Hinübergleiten von der Brust- zur Kopfstimme), vorzüglich. Ihre Aussprache ist perfekt und beide zeigen in den höheren Lagen keine Unsicherheit. Maryline Fallot (Jacinte) hätte eine kapriziösere Darstellung in Bewegung und Stimme gutgetan. Die sehr attraktive Magalis Léger (Léonore) erfüllt im Duo mit Alonze die Erwartungen, während sie in der großangelegten, dem Vogelflug geradezu nachahmenden Arie Je romps la chaîne – ich breche die Kette auf dem Wort volage – flattern eine Messa di voce (An- u. Abschwellen des Tons) vermissen läßt.
Fazit
Auch wir eher romantikgewöhnten Zeitgenossen werden gefangengenommen von der Dramatik der Flucht und der Rettung durch den furchtlosen Franzosen, insbesondere auch durch Grétrys Musik, die uns einnimmt, erinnerte sie uns doch an Mozart. Der hat allerdings von Grétry gelernt, denn Mozarts Figaro von 1786 erinnert in Musik und Inhalt an diese Komödie von 1778! Wir sahen die authentische Wiedergabe einer der köstlichsten Komödien, die zu spielen sich anbietet, aber wahrscheinlich nur in diesem historischen Rahmen überzeugt. Das Publikum ließ sich davon jedenfalls an diesem Abend hinreißen.
Die nächsten Aufführungen sind in der Opéra Comique in Paris am 15.,17.,19 und 21. Maär 2010
Dr. Olaf Zenner
Bild: Pierre Grosbois
Die Perspektivbühne des letzten Akts zeigt li: Frédéric Antoun (Florival) und Claire Debono (Isabelle) vor dem Pavillon: Maryline Fallot (Jacinte) und Vincent Billier (Lopez), re: Magalis Léger (Léonore) und Brad Cooper (Don Alonze)