Berlin, Staatsoper Unter den Linden – DIE FLEDERMAUS

von Johann Strauß d.J. (1825-1899), Operette in drei Akten, Text: Richard Genée, Dialogfassung: Christian Pade und Oliver Binder
UA: 1874 Wien
Inszenierung: Christian Pade, Bühne/Kostüme: Alexander Lintl, Choreographie: Martin Stiefermann, Licht: Olaf Freese
Dirigent: Zubin Mehta, Staatskapelle Berlin, Staatsopernchor, Einstudierung: Eberhard Friedrich
Solisten: Martin Gantner (Gabriel von Eisenstein), Silvana Dussmann (Rosalinde), Jochen Schmeckenbecher (Frank), Stella Grigorian (Prinz Orlofsky), Stephan Rügamer (Alfred), Roman Trekel (Dr. Falke), Christine Schäfer (Adele), Helene Grass (Ida), Michael Maertens (Frosch, Sprechrolle)
Besuchte Aufführung: 21. November 2009 (Premiere)

Kurzinhalt
berlin-staatso-fledermaus.jpgEisenstein hat nach einem Maskenball den als Fledermaus verkleideten Dr. Falke blamiert. Dieser rächt sich, indem er auf einem Fest des Prinzen Orlofsky seinen Scherz mit Eisenstein treibt. Eigentlich sollte der im Gefängnis eine Strafe absitzen, doch läßt er sich gerne überreden, mit auf das Fest zu kommen. Auf dem Fest begegnen ihm sein Stubenmädchen Adele, die sich unter dem Namen „Olga“ vorstellt, und eine maskierte ungarische Gräfin, die sein Interesse auf sich zieht. Tatsächlich handelt es sich bei ihr jedoch um seine eigene Gattin Rosalinde. Unter dem Pseudonym „Marquis Renard“ stellt er sich ihr und dem anwesenden Gefängnisdirektor Frank, der sich seinerseits den Namen „Chevalier Chagrin“ zugelegt hat, vor, mit dem er im Rausch Freundschaft schließt. Auf den Rausch folgt der Kater: Als Eisenstein am nächsten Morgen im Gefängnis eintrifft, um seine Strafe anzutreten, muß er entdecken, daß mittlerweile jemand anderes, nämlich Alfred, der ehemalige Liebhaber seiner Frau, unter dem Namen „Eisenstein“ einsitzt. Nach weiteren turbulenten Verwicklungen löst sich das Spiel schließlich auf.
Aufführung
Der Vorhang öffnet sich zum ersten Akt und gibt den Blick auf eine luxuriöse Einbauküche frei. Den Kostümen und den von Pade und Binder geschriebenen Dialogen nach befinden wir uns im Berlin der Gegenwart. Das Fest des Prinzen Orlofsky ist eine Mischung aus Club und Love-Parade, die Tänzer bewegen sich während der langen Walzerszenen im zweiten Akt in individuellen Kostümen und in rave-typischer Manier. Orlofsky selbst ist eine androgyne Gestalt, im Stile des Leadsängers von Tokio Hotel kostümiert. Mitten in den zweiten Akt ist die einzige Pause des Abends eingefügt. Der letzte Akt spielt in einem Vorraum des Gefängnisses, in dem der Wärter Frosch in markantem nordwestdeutschem Dialekt vor sich hin schimpft.
Sänger und Orchester
Die große Herausforderung der Solopartien liegt nicht nur in ihren musikalischen Schwierigkeiten, sondern ebenso darin, die Dialoge überzeugend zu sprechen. Mit dieser Aufgabe kamen die Solisten souverän zurecht, man spürte, daß es sich bei ihnen um ausgesprochene Spezialisten des Faches handelte. Unsicherheiten im Sprechvortrag zeigten sich überraschenderweise nur bei Roman Trekel (Dr. Frank). Silvana Dussmanns Rosalinde ist genau wie Christine Schäfers Adele darstellerisch und sprecherisch treffend gezeichnet und musikalisch tadellos. Martin Gantner gelang ein dem Text gemäß etwas unsympathischer Eisenstein. Stephan Rügamer (Alfred) war in seiner Darstellung im ersten Akt zu hölzern; insbesondere die Szene, in der er sich angeheitert als Eisenstein ausgibt, nahm man ihm nicht ab. Ein Glanzpunkt des Abends war sicherlich Michael Maertens’ Frosch. Hier stimmte alles: Haltung, Timing der Aktionen, Larmoyanz des Tonfalls und die sicher plazierten Pointen.
Zubin Mehta vermochte es ohne weiteres, Bühne und Orchester stets beisammen zu halten. In der Ouvertüre legte er es allerdings ein wenig zu sehr auf permanente Modifizierung des Tempos an, was vor allem dem Schlagwerk, das phasenweise leicht neben dem Takt zu sein schien, Schwierigkeiten bereitete. Artikulatorisch und dynamisch dürfte man dieses Stück ansonsten kaum differenzierter spielen können.
Fazit
Der Schwachpunkt dieser Inszenierung ist der zweite Akt. Wie kann man so wenig Gespür dafür haben, daß hier etwas überhaupt nicht zusammenpaßt? Bild und Ton stachen hier in eklatanter Weise voneinander ab und machten das Fest des Prinzen Orlofskys zu einer quälend peinlichen und vor allem langwierigen Angelegenheit. Dafür gab es Buhs schon während der Vorstellung. Der einzige Akt, der ein wenig Heiterkeit zu verbreiten vermag, ist der dritte, und dies ausschließlich dank der hervorragenden Leistung des Schauspielers Maertens. Der erste blieb dagegen farblos, die in modernes Deutsch transferierten Dialoge wirkten oft bemüht und wenig zündend. Diese Produktion ist ein exemplarischer Fall dafür, daß man ein Stück wie die Fledermaus nicht so einfach linear „aktualisieren“ kann. Die heftigsten Buhs kassierten zu Recht neben dem Regieteam der Choreograph und seine Tänzer.
Dr. Martin Knust

Bild: Ruth Walz
Das Bild zeigt: Christine Schäfer (Adele)

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