von Jeffrey Ching (geb. 1965), Oper in zwei Akten und drei Szenen vom Komponisten in altchinesischer, italienischer, französischer, englischer, spanischer und deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Regie: Jakob Peters-Messer, Choreographie: Julien Feuillet-Dolet
Dirigent: Samuel Bächli, Philharmonisches Orchester Erfurt, Opernchor des Theaters Erfurt
Solisten: Andion Fernandez (Waisenkind), Marisca Mulder (Arfisa), Denis Lakey (Osmingti), Marwan Shamiyeh (Alsingo), Mate Solyom-Nagy (Etan), Sebastian Pilgrim (Dag-Ngans-Kagh), Peter Umstadt (Cheng Ying, Sprecher), Julien Feuillet-Dolet (Cheng Ying, Tänzer)
Besuchte Aufführung: 29. November 2009 (Uraufführung)
Kurzinhalt
China im 6. Jh. vor Christus: Durch eine Intrige gelingt es Dag-Ngans-Kagh, seinen Rivalen Osmingti und alle seine Familienmitglieder hinrichten zu lassen. Seine Ehefrau Arfisa kann ihren neugeborenen Sohn dem Arzt Cheng Ying anvertrauen. General Etan überzeugt den Arzt, das Kind aufzuziehen, dann tötet er sich selbst. Cheng Ying flieht zu dem ehemaligen Minister Alsingo. Sie vertauschen das Waisenkind mit Cheng Yings eigenem Kind und beschuldigen Alsingo bei Dag-Ngans-Kagh, das Waisenkind zu verstecken. Dag-Ngans-Kagh tötet das falsche Kind und dann Alsingo. Fünfzehn Jahre später hat Dag-Ngans-Kagh das Waisenkind als Erben adoptiert. Nachdem Cheng Ying das Kind über seine Herkunft aufgeklärt hat, will es Dag-Ngans-Kagh zunächst töten, überantwortet ihn aber doch der staatlichen Autorität. Er wird zu einem qualvollen Tod verurteilt und bei lebendigem Leib zerstückelt.
Aufführung
Der chinesisch-stämmige Kosmopolit Jeffrey Ching wurde 1965 auf den Philippinen geboren, studierte in Harvard Musik und hatte in London einen Lehrauftrag. Seit einiger Zeit lebt er als Komponist in Berlin. In dieser Oper erzählt er rückblickend auf sein Leben in mehreren Ebenen sowohl die chinesische Originalgeschichte als auch parallel dazu verschiedene europäische Adaptionen dieses Stoffes. Die Erzählerrolle übernimmt der Arzt Cheng Ying, kommentiert von seinem Spiegelbild, einem Tänzer. In der Regie Jakob Peters-Messer wird der Tänzer zu einer wichtigen Rolle, seine Choreographie ein zusätzlicher Schwerpunkt des Stückes. Die Eltern des Waisenkindes tragen weiße barocke Fürstenkleider – nach Ihrem Tod wechseln sie zu Schwarz für ihre Auftritte als Schatten. Das Waisenkind trägt eine weiße Offiziersuniform barocker Prägung. Hingegen sieht man Etan und Alsingo in chinesischer Mandarin- bzw. Krieger-Kleidung. Dag-Ngans-Kagh ist eine mächtige Figur, was durch ihre Körpergröße (durch Stelzen unter der Kleidung) und die Machtsymbole Hut und Lanze unterstrichen wird.
Sänger und Orchester
Schwierig ist es, hier Sänger und Orchester angemessen zu würdigen. Die Zusammenstellung von fernöstlichen Klangweisen, Sonaten im Stile Mozarts und spanischer Renaissance, aber auch von Sprechgesang, Rezitativ und barocker Bravourarie stellt eher ungewöhnliche, gleichwohl aber hohe Anforderungen an Sänger und Musiker. Das Quintett, in dem sich Andion Fernandez als Waisenkind mit den Schatten der getöteten Ahnen und Freunde auseinandersetzt, zeigt deutliche Anleihen an das Finale des Don Giovanni von Mozart und erlaubt so Marisca Mulder (Arfisa), Denis Lakey (Osmingti), Marwan Shamiyeh (Alsingo) und Mate Solyom-Nagy (Etan) die Anerkennung als Mozart-Sänger. Andion Fernandez kann zusätzlich noch mit zwei Bravourarien das Publikum begeistern.
Samuel Bächli ist Sänger an der Oper Erfurt und kommt mit der Gestaltung komplexer Partituren und einem riesigen Klangkörper hervorragend zurecht, denn die Instrumentation sieht neben 46 Streichern, Glasharmonika, Harfe, einigen Tasteninstrumenten, 12 Blech- und Holzbläsern auch sehr viel Schlagwerk vor. Es nimmt so viel Platz ein, daß es in zwei Ebenen – im Orchestergraben und über der Bühne – aufgestellt werden muß. Das Orchester hat seinen großen Auftritt im Ballettfinale, das im Stile eines Divertissements (ein französischer Tanz zum Ende einer Oper) gehalten ist, wenn die Zerstückelung des Dag-Ngans-Kagh musikalisch donnernd zelebriert wird.
Fazit
Der Zusammenstoß zwischen Fernost und Europa entlud sich wie eine Gewitterfront über dem Zuschauer. Es wirkte elektrisierend, wie auf mehreren musikalischen Ebenen die chinesische Handlung erzählt wurde und von den europäischen Adaptionen des Stoffes konterkariert wurde. Hilfreich ist der zweite Cheng Ying als Tänzer, der die statische chinoise Personenführung auflockerte, weil er die Handlung an sich verständlicher machte und so zur eigentlichen Hauptfigur wurde. Das würdigte das Erfurter Publikum entsprechend mit einem kräftigen Applauses für Julien Feuillet-Dolet, der sich selbst die Choreographie schrieb. Das musikalisch dominante Waisenkind bekam deutlich weniger Beifall, wurde aber genauso gefeiert wie Samuel Bächli für seinen erfolgreichen Kampf mit einer komplexen Partitur und einem riesigen Klangkörper. Insgesamt wohl eine der interessantesten und intelligentesten Uraufführungen des Jahres 2009!
Oliver Hohlbach
Bild: Lutz Edelhoff
Das Bild zeigt: Das Waisenkind trifft seine Ahnen und deren Freunde als Schatten.
(v.l.n.r: Mate Solyom-Nagy (Etan), Marwan Shamiyeh (Alsingo), Marisca Mulder (Arfisa), Denis Lakey (Osmingti), Andion Fernandez (Waisenkind))