von Richard Wagner (1813-1883), Musik und Test, Romantische Oper in drei Aufzügen, UA: 28. August 1850 Weimar
Regie: Andrea Moses, Bühne: Christian Wiehle, Video: Chris Kondek
Dirigent: Antony Hermus, Anhaltische Philharmonie, Opernchor, Kinderchor und Extrachor des Anhaltischen Theaters Dessau
Solisten: Pavel Shmulevich (König Heinrich), Andrew Sritheran (Lohengrin), Bettine Kampp (Elsa), Ulf Paulsen (Telramund), Iordanka Derilova (Ortrud), Wiard Witholt (Heerrufer)
Besuchte Aufführung: 22. November 2009 (Premiere)
Kurzinhalt
König Heinrich ruft die Brabanter zum Feldzug. Graf Telramund, von seiner Gattin Ortrud angestachelt, beschuldigt Elsa von Brabant des Mordes an ihrem Bruder Gottfried. Ein Gottesgericht in Form eines Zweikampfs soll über Elsas Schuld entscheiden. Da erscheint ein Fremder in einem Boot, gezogen von einem Schwan, und besiegt Telramund. Dieser Fremde will Elsa heiraten unter der Bedingung, daß sie nie nach seinem Namen und seiner Herkunft fragen würde. Elsa willigt ein. Am Hochzeitstag bezichtigen Ortrud und Telramund vor dem Münster den Fremden der Zauberei und des Betruges. Doch Elsa vertraut ihrem Bräutigam. Später, als sie allein sind, bricht Elsa ihr Versprechen und stellt die verbotenen Fragen. Im gleichen Moment dringt Telramund in das Brautgemach ein und stirbt im Kampf mit Lohengrin. Er offenbart Namen und Herkunft. Ortrud triumphiert, aber durch sein Gebet bewirkt Lohengrin die Rückkehr Gottfrieds, des rechtmäßigen Thronfolgers.
Aufführung
Die Regisseurin Andrea Moses verlegt die Handlung in ein heutiges Parlament. Die Abgeordneten versammeln sich, um König Heinrich zu begrüßen. Die Fraktionsführerin Elsa reagiert auf die Angriffe des Oppositionsführers Telramund, ihren Bruder Gottfried ermordet zu haben, kindlich naiv. Da taucht medienwirksam der Anführer der Schwanen-Bewegung auf, dynamisch agierend mit Schwanen-Logo und einer Info-Broschüre. Ihn ernennt König Heinrich gerne zum Staatschef. Die Hochzeit zwischen Elsa und Lohengrin versuchen Telramund und Ortrud zu verhindern, indem sie aufdecken, daß Lohengrin Bestechungsgelder angenommen hat. Aber Lohengrin beantwortet alle Fragen – auch die zu seiner Identität – nicht. Im Brautgemach will sich Elsa endlich Klarheit über die Mediengestalt Lohengrin verschaffen. Nachdem er Telramund das Genick gebrochen hat, erzählt Lohengrin seine wahre Geschichte und verschwindet aus der Politik. Sein Nachfolger ist ein Statist mit Gottfried-Maske. Elsa will nicht wissen, wer er ist, aber die politische Elite feiert den Neubeginn.
Sänger und Orchester
Iordanka Derilova ist ein hochdramatischer Sopran, der die Hexe Ortrud wortverständlich singt, und ohne zu forcieren erreicht sie eine phänomenale Durchschlagskraft, besonders in den hohen Registern. Andrew Sritheran dürfte eine glänzende Zukunft als Wagnertenor bevorstehen: Baritonal-samtig grundiert, kann er in den Höhen mit scheinbarer Leichtigkeit der Stimmführung glänzen. Außerdem ist jeder Lohengrin, der wie er, beide Teile der Gralserzählung voll aussingen kann, über jede Kritik erhaben. Pavel Shmulevich ist ein russischer Baß mit ungeheurer Tiefe. Er gab sein Rollendebüt als König Heinrich. Ulf Paulsen ist der Bariton des Hauses, der die schwierige Rolle des Telramund ohne jede Anstrengung meistert und die Figur des Demagogen nicht nur stimmlich überwältigend verkörpert. Bettine Kampp ist ein lyrischer Sopran mit kindlich leuchtender Stimme, sie benötigt nur noch etwas Zeit, um sich frei zu singen. Antony Hermus ist der neue, junge GMD des Hauses, der die Anhaltische Philharmonie ohne Probleme durch die Untiefen der Partitur steuert. Besonders, da er die Tempi durchwegs flott nimmt und so die technischen Ansprüche in die Höhe treibt. Trotzdem können die Streicher mit viel Schmelz aufwarten.
Fazit
Auf der ersten Produktion einer neuen Theaterführung liegt immer besonderes Augenmerk. Besonders, da ein junges Team Johannes Felsenstein abgelöst hat, der mit seinen konservativen Produktionen durchaus eine Fangemeinde hatte. Und dennoch wurde diese moderne Produktion mit einhelligem stürmischen Applaus bejubelt. Zum einen, weil das Stück mit vielen Details und viel Pfiff handwerklich ausgefeilt auf die Bühne gestellt wurde – und doch die Handlung, wie sie der Komponist wollte, erkennbar war. Zum anderen, weil die politischen Fragen, die um die Auswahl der Politiker für ein Amt und die Verantwortung der Medien in der Politik kreisen, sehr im Interesse der Zuschauer liegen: Der Revoluzzer Richard Wagner hätte seine Freude gehabt!
Oliver Hohlbach
Bild: Claudia Heysel
Das Bild zeigt: Auch der Zug zum Münster wird als Aufmarsch der Schwanenbewegung genutzt.
In der Mitte vorne Pavel Shmulevich (König Heinrich), Wiard Witholt (Heerrufer) und Chor).