von Leonard Bernstein (1918-1990); Musical in einem Akt von Hugh Wheeler und Stephen Sondheim nach dem Roman von Voltaire; in deutscher Sprache von Stephan Kopf und Cordula Däuper; Uraufführung: 8. März 1974 in New York
Regie: Cordula Däuper
Dirigent: Daniel Carlberg, Anhaltische Philharmonie, Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau
Solisten: David Ameln (Candide), Angelina Ruzzafante (Kunigunde), Stephan Lohse (Voltaire), Renate Dasch (Old Lady), Wiard Witholt (Maximilian), Kristina Baran (Paquette), Kostadin Arguirov (Kapitän) u.a.
Besuchte Aufführung: 6. Dezember 2009 (Premiere)
Kurzinhalt
Dr. Pangloss lehrt seine Schüler, daß sie in der besten aller Welten leben. Candide wird wegen seines Verhältnisses zu Kunigunde aus dem Schloß Thunder-ten-tronckh gejagt, das später von Soldaten zerstört wird. Candide flieht mit Pangloss nach Lissabon, wo sie als Überlebende des Erdebebens vom Autodafe der Ketzerei beschuldigt werden. Candide findet seine Kunigunde in der Halbwelt wieder, tötet ihre Liebhaber und flieht mit Ihr per Schiff in die neue Welt. Nach einer Entführung, dem Wiedersehen mit Maximilian in einer Pilgergruppe und dem Plündern von Eldorado treffen sich schließlich alle wieder. Man einigt sich auf den wahren Sinn des Lebens: Ein Stück Garten selbst zu bestellen.
Aufführung
Eigentlich versucht Cordula Däuper die komplizierte episodenhafte Handlung zu vereinfachen, indem sie mit einfachen Mitteln immer wieder neue Räume und Spielflächen schafft. So werden Rampen auf die Bühne gefahren und wieder hinaus. Würfel lassen sich – weil die Seiten unterschiedlich gestaltet sind – zu immer neuen Motiven zusammensetzen. Weiteres Mittel zum Zweck ist die Verlegung der Handlung von der Barockzeit in die Gegenwart. So entstehen rasch eindrucksvolle Bilder, die aber genauso schnell wieder vergehen: Das Autodafe ist eine Mischung aus einem Treffen von Fußball-Hooligans und einem Haßangriff auf Raucher. Amerika wird auf ein paar Hochhäuser, Schnurrbärte und ein Geldbad in Eldorado reduziert. In der Pause gibt es im Foyer einige Gesangseinlagen – mitten im Publikum. Am Ende sieht man auf den Trümmern der Kulissen in eine etwas unsichere Zukunft.
Sänger und Orchester
Musik von Bernstein ist eben kein Allerwelts-Musical-Gedudel. Was für die West Side Story gilt, gilt in besonderem Maße für Candide, nämlich der hohe musikalische Anspruch: Die Arie der Kunigunde Mich umglitzert Gold gilt als Herausforderung für jeden Koloratursopran. Angelina Ruzzafante hat solche strahlenden, sicheren Koloraturen und meistert sie ohne Probleme. Ebenso aus dem Ensemble stammen David Ameln als Candide und Wiard Wiholt als Maximilian (ein vielversprechender Nachwuchs-Wagner-Bass-Bariton mit schöner, aber noch nicht sicherer Höhe). Renate Dasch als Alte Lady hat das nötige Alter, um diese Rolle auch stimmlich mit Charme und Grandezza umzusetzen.
Die Anhaltinische Philharmonie Dessau stellt unter Daniel Carlberg unter Beweis, daß man dieses Musical durchaus unter dem Begriff Oper einordnen kann. Mit einer größeren Besetzung als ein Broadway-Orchester gelingt in fast epischer Breite der Nachweis der musikalischen Genialität Leonard Bernsteins – vielleicht sogar seine Würdigung als letzter Spätromantiker.
Fazit
Das Theater Dessau und sein Opern-Ensemble können sich beweisen, die Inszenierung ist handwerklich einfach gebaut, dabei einfallsreich und pointiert. Den Diskurs zwischen Voltaire und Leibnitz, ob wir in der besten aller möglichen Welten leben, kann sie aber nicht beantworten: Entweder baut sich auf dem Leid einiger der Erfolg der Gemeinschaft auf, oder sind die anderen Welten noch schlimmer? Die Antwort von Cordula Däuper kann die Komplexität des Stückes (die auch dazu führt, daß es viel zu selten gespielt wird) nicht lösen – oder findet sich Hoffnung nur in trauter Zweisamkeit im eigenen Garten? Aber wie wäre mehr aus dem Stück zu machen? Die Zuschauer zeigten sich zufrieden: Langanhaltender und freundlicher Beifall, auch von den Opern-Abonnenten.
Oliver Hohlbach
Bild: Claudia Heysel
Das Bild zeigt: Aus Würfeln entsteht eine barocke Schulwand für die Schüler Wiard Witholt (Maximilian), Angelina Ruzzafante (Kunigunde), David Ameln (Candide), Kristina Baran (Paquette).