Lüttich, Opéra Royal de Wallonie – MARIA STUARDA

von Gaëtano Donizetti, lyrische Tragödie in zwei Akten, Libretto: Giuseppe Bardari, Vorlage: Maria Stuart von Friedrich von Schiller, UA: 30. Dezember 1835, Mailand, Teatro alle Scala
Regie/Kostüme: Francesco Esposito, Bühnenbild: Italo Grassi, Licht: Daniele Naldi
Dirigent: Luciano Acocella, Orchester und Chor der Opéra de Wallonie
Solisten: Patrizia Ciofì (Maria Stuarda, Königin von Schottland), Marianne Pizzolato (Elisabeth, Königin von England), Diana Axentil (Anna Kennedy), Danilo Formaggia (Roberto, Graf von Leicester), Frederico Sacchi (Graf Giorgio Talbot ), Mario Cassi (Lord Guglielmo Cecil)
Besuchte Aufführung: 30. April 2008 (Premiere)

Lüttich liegt etwa 100 Km von Köln entfernt in der wirtschaftlich aufstrebenden Stadt der belgischen Provinz Wallonie. Es hat ein mäßig subventioniertes Opernhaus. Seit Jahren gibt es ausgezeichnete Opern wie z.B. Le Roi d’Ys von E. Lalo oder Die heimliche Ehe von D. Cimarosa in der laufenden Saison und in der nächsten Spielzeit – unter neun Premieren – Paride ed Elena von Ch. W. Gluck (7.10.08) oder Fra Diavolo (24.4.09) von D.F.E. Auber. Was aber noch mehr ins Gewicht fällt ist die Sängerauswahl bei übrigens ausgezeichneten Inszenierungen. Unter der Sängerschar hat die Intendanz der Oper für die Belcanto-Oper Maria Stuarda wohl die besten ausgewählt: Patricia Ciofì und Marianna Pizzolato.
Kurzinhalt
maria-stuarda-luttich.jpgDie berühmte Fehde zwischen der katholischen Königin von Schottland und der protestantischen englischen Königin hat Schiller in seinem Drama nacherzählt, das dem Librettist in der Übersetzung von Andrea Maffei vorlag. Durch einen Aufstand in Schottland mußte Maria Stuart flüchten. Sie begab sich in die Obhut von Königin Elisabeth, die sie aber auf Schloß Fotheringhay gefangen setzte.
Dies ist der Hintergrund der Oper, die im Todesjahr der schottischen Königin 1587 spielt. Beide Königinnen sind in Graf Roberto Leicester verliebt, der Maria bevorzugt. Ziemlich bald steht für Elisabeth fest, daß sie ihre Kusine aus dem Weg räumen muß, da Maria auch Anspruch auf den englischen Thron hat. Die Zuneigung Robertos zu Maria beschleunigt ihren Entschluß zur Todesstrafe ihrer Widersacherin durch das Beil.
Diese handlungsarme Oper, deren Reichtum auf der Spiegelung der Charaktere und seelischen Verfassungen der beiden Protagonistinnen beruht, hat Donizetti mit überreichem Belcanto ausgestattet. Die Musik spielt hier womöglich noch eine größere Rolle als in seinen sonstigen Opern. Donizetti hat es gewagt, zwei Sopranstimmen die Hauptlast der Oper anzuvertrauen. Doch die großangelegten Arien und Duette geben erst die wirkliche psychologische Befindlichkeit der beiden Königinnen wider. Der Erfolg hängt nur von der Stimmqualität der Sängerinnen in den Rollen von Maria und Elisabeth ab.
Die Aufführung
Dies gelang dem Lütticher Team über alle Maßen! Besonders sind die Personenführung und die prächtigen Kostüme der damaligen Zeit durch den Regisseur Francesco Esposito (für Regie und Kostüme verantwortlich) hervorzuheben: Die Sängerinnen und Sänger bewegte sich so lebendig, daß man die Handlung, auch ohne die Worte im einzelnen zu verstehen, mitverfolgen kann. Neuerdings werden auch die Übertitel in Deutsch angezeigt, was wir sicher als Erleichterung wahrnehmen.
Ein solches Stimmenpaar mit Patrizia Ciofì (Maria Stuarda) und Marianna Pizzolato (Elisabeth), ergänzt durch Danilo Formaggia (Roberto Leicester), der durchaus ebenbürtig sang, findet man wahrlich nicht alle Tage!
Die beiden exquisiten Sängerinnen fanden das rechte Maß, das Honoré de Balzac in seiner Novelle Massimilla Doni in unnachahmlicher Weise folgendermaßen andeutet:
Die Koloratur [im Belcanto] ist die höchste Ausdrucksform der Kunst, sie ist die Arabeske, die das schönste Gemach in der ganzen Wohnung ziert: ein wenig darunter, und wir haben nichts, ein wenig mehr und alles ist verwirrt.
Patrizia Ciofì als Maria Stuarda muß ja mit ihren Arien fast den gesamten dritten Akt gestalten. Das erfordert ungemein viel Ausdauer, kluge Atemtechnik, abgewogenen Stimmeinsatz. Und sie muß die abenteuerlichsten Koloraturen gestalten, mal mit einem Fortissimo, mal mit einem Pianissimo oder der Messa di voce, dem Schwellton, in der Tiefe wie in der Höhe. Mühelos schaffte sie die hohen, über dem Chor liegenden Töne. Sie traf die Töne auch weit auseinander liegender Intervalle messerscharf. Nie war ihre Stimme – etwa in der Höhenlage – schneidend, stets war sie lyrisch und ungemein angenehm zu hören. Nie verlor ihre Stimme die Spannung. Alles war musikalisch ungemein ausgewogen. Bei Marianna Pizzolato (Elisabeth), die eigentlich eine hohe Mezzosopranistin ist, konnte man Ähnliches beobachten. Sie war besonders in den Duetten überzeugend. Danilo Formaggia (Roberto Leicester) sang seine Partie deutlich prononciert und hatte einen bewundernswerten Registerwechsel, d.h. unmerklich wechselte er von der Brust- in die Kopfstimme.
Die Nebenrollen waren genauso gut besetzt. Hier gefiel mir besonders Diana Axentil als Anna Kennedy mit ihrem lyrischen Mezzo und ihrer deutlichen Aussprache.
Fazit
Die Aufführung ist eine Übernahme aus Bergamo und Rom aus dem Jahre 2006. In Rom sah ich die Aufführung mit der großartigen Sängerin Daniella Devia, die damals am 25. März 2006 frenetisch gefeiert wurde (s. Operapoint 2006, Heft 2). Hier in Lüttich sind die Opernbesucher zurückhaltender. Aber das disziplinierte Publikum gab allen Sängern, natürlich besonders Ciofì und Pizzolato, zum Schluß lang anhaltende Klatschsalven.

O. Zenner
Bild: Jacky Croisier

Das Bild zeigt Elisabeth (Marianna Pizzolato) bedroht die kniende Maria Stuarda (Patricia Ciofì) mit ihrer Reitgerte.

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