von Christoph Willibald Gluck (1714-1787), Oper in drei Akten in einer Inszenierung als Tanzoper, nach der Wiener Fassung angereichert mit zwei Ballett-Tableaus aus der Pariser Fassung, Libretto: Ranieri de‘ Calzabigi, UA: Wien 1762 und Paris 1774
Regie/Choreographie: Ralf Dörnen, Bühne: Hans Winkler, Kostüme: Claudia Kuhr, Licht: Kirsten Heitmann, Dramaturgie: Catrin Darr
Dirigent: Per-Otto Johansson, Philharmonisches Orchester Vorpommern, Ballett Vorpommern, Opernchor des Theaters Vorpommern, Einstudierung: Thomas Riefle
Solisten: Wiebke Damboldt (Orpheus/Gesang), Simon Kranz (Orpheus/Tanz), Anette Gerhardt (Eurydike/Gesang), Virginia Segarra Vidal (Eurydike/Tanz), Eva Resch (Amor/Gesang), Yoko Osaki und Armen Khachatrian (Amor/Tanz), u.a.
Besuchte Aufführung: 23. Januar 2010 (Premiere)
Kurzinhalt
Eurydike, die Geliebte des Orpheus, ist an einem Schlangenbiß gestorben. Als er den Verlust beklagt, erscheint der Liebesgott Amor und gestattet ihm den Abstieg in die Unterwelt. Wenn es ihm gelänge, die Wächter des Hades, die Furien und den Höllenhund Zerberus, mit seinem Gesang zu besänftigen, dürfe er Eurydike wieder zum Leben zurückführen. Bedingung dafür ist, daß er sich auf dem Rückweg nicht nach ihr umsieht. Orpheus rührt tatsächlich die Furien und den Zerberus mit seiner Musik und führt Eurydike an der Hand zurück, doch Eurydike klagt, daß Orpheus sie nicht mehr liebe, weil er sie nicht ansähe. Von seinen Gefühlen überwältigt dreht er sich nach ihr um – und sie sinkt tot zu Boden. Orpheus, von Trauer und Selbstvorwürfen geplagt, beschließt, sich das Leben zu nehmen. Da erscheint Amor aufs Neue, erweckt Eurydike wieder zum Leben und vereint die beiden Liebenden.
Vorbemerkung zur Tanzoper
Die Inszenierung von Glucks Oper als Ballett ist keine neuartige Idee – schon so bekannte Choreographen wie John Neumeier und Pina Bausch haben sich daran versucht. Diese Oper mit ihrem drastisch reduzierte Personal, in der die Handlung weitestgehend während der langen Orchesterpassagen stattfindet, eignet sich dazu besonders gut. Tatsächlich war die Einbeziehung von Ballettszenen in die Oper im 18. Jahrhundert durchaus gängig, besonders in Frankreich, weshalb Gluck für die Aufführung seiner Oper in Paris längere Ballett-Tableaus hinzukomponierte. Die komplette Inszenierung als Tanzoper stellt lediglich einen weiteren Schritt in diese Richtung dar. Ralf Dörnen durchbricht in seiner Version, die auf der Wiener Fassung mit einer Kastratenrolle als Orpheus beruht und die Pariser Ballett-Tableaus mit einbezieht, die Grenzen zwischen Oper und Ballett.
Aufführung
Das Bühnenbild zeigt eine grüne Blumenwiese, dahinter blauen Himmel mit kleinen Wölkchen und im Vordergrund einen großen Apfelbaum. Die Assoziation zum Garten Eden ist gewollt. Die Unterwelt ist als ein glühendes Lavafeld gestaltet, der Hintergrund erscheint in anderem Licht und erscheint rötlich mit Rauchschwaden, im Vordergrund sind die Wurzeln des Apfelbaums zu sehen. Die Kostüme stammen aus einer zeitlich unbestimmten Phantasiewelt.
Sänger und Orchester
Wiebke Damboldt (Orpheus) verfügte zwar über einen warmen und gefühlvollen Klang der Stimme, störte aber den musikalischen Ausdruck, besonders in den rezitativischen Abschnitten, durch übermäßiges Vibrato. Im tieferen Register der eigentlich für einen Kastraten geschriebenen Partie fehlte ihr etwas Substanz. Das letzte Klagelied und das Schlußterzett gelangen ihr aber sehr gut. Stimmlich überzeugen konnten Eva Resch (Amor) und Anette Gerhardt (Eurydike), die der klassischen Eleganz des Stückes gerecht wurden und, ebenso wie der Chor, überlegene Textdeklamation zeigten.
Das Orchester fiel stellenweise durch Intonationsschwächen auf, besonders in den hohen Streichern. Auch die Abstimmung zwischen Streichern und Holzbläsern gelang nicht vollends. Ein merkwürdiger Gegensatz entstand zwischen dem romantisierten Streicherklang, der elegant-flexiblen musikalischen Gestaltung durch Per-Otto Johansson und der gut artikulierten, an historischer Aufführungspraxis orientierten Spielweise des Continuo-Cembalos. Die Balance zwischen Orchester und Gesang war ausgezeichnet.
Choreographie
Durch die ironisch-laszive, bewußt die Grenze zum Kitsch überschreitende Gestaltung der Figur des Amor, der durch zwei clownartige tanzende Putten unterstützt wird und als einzige Gesangsrolle aktiv an der Bühnenhandlung teilnimmt, wird der Tanzoper ein unerwartetes komisches Element zugeführt. Zum Ende hält Dörnen eine Überraschung bereit: Nachdem die tanzende Eurydice zusammengebrochen ist, bettet sie Orpheus auf rührende Weise zur letzten Ruhe nieder und verharrt anschließend regungslos an ihrer Seite. Amor wendet sich nicht an ihn, sondern adressiert statt dessen sein Alter Ego der Sängerin, die bis dahin nicht an der Bühnenhandlung teilgenommen hat, sondern sich am Rande der Vorderbühne aufhielt. Die Rollenverteilung wird aufgebrochen, die Wendung zum Happy End durch das Auftreten eines Deus ex machina wird entschärft und gleichzeitig um eine Ebene erweitert: Während die glücklich Liebenden mit Amor das Schlußterzett anstimmen, stellen die Tänzer das eigentliche tragische Ende der mythologischen Handlung dar – das Lachen bleibt im Halse stecken. Endgültig dekonstruiert wird die Illusion kurz vor Schluß, als Bühnenarbeiter noch während des Terzetts beginnen, um das regungslose Paar herum die Kulissen abzubauen, unbeachtet von Sängern und Orchester.
Fazit
Der langanhaltende Applaus, den das Greifswalder Publikum am Ende der Vorstellung spendete, war durchaus gerechtfertigt. Trotz einiger musikalischer Schwächen war die Aufführung insgesamt sehr gelungen. Die Kombination aus gefühlvollem Gesang und guter, stellenweise sogar zauberhafter Choreographie rechtfertigte die Inszenierung dieser Oper als Ballett voll und ganz. Geboten wurden solide elegante Oper, virtuoses und emotionales Tanztheater, und eine faustdicke Überraschung am Ende.
Anna-Juliane Peetz
Bild: Vincent Leifer
Das Bild zeigt: Eva Resch (Amor), oberer Bildrand, Simon Kranz (Orpheus/Tanz), Bildmitte, Yoko Osaki, links, und Armen Khatchatrian (Amor/Tanz), rechts